Es begann mit einem harmlosen Treffen auf der Augsburger Oldtimer Messe. Die Freunde Otto Lässer und Wilfried Gehr sprechen mit einer Zufallsbekanntschaft über Rallyes und die hohen Kosten für die Teilnehmer. Ihnen kommt eine Idee, die sie nicht mehr loslässt. Die Idee einer bezahlbaren Rallye vom Allgäu in den Orient. Daraus entstand eine der größten und abenteuerlichsten Rallyes der Welt – die Europa-Orient-Rallye.
Da standen Otto Lässer und Wilfried Gehr nun auf der Augsburger Oldtimermesse. Sie wollten nur ein spezielles Öl kaufen und sprachen mit einem Unbekannten über Rallyes. Der Herr hätte gerne an der Dakar teilgenommen, doch mittlerweile ist diese unbezahlbar geworden. Otto und Wilfried pflichteten ihm bei, eine bezahlbare Wüstenrallye müsse es geben. Nach dem Gespräch gärte diese Idee nur kurz in den Köpfen der beiden, noch in der Nacht machten sie sich an die Umsetzung.
So entstand die Europa-Orient-Rallye
Die Idee war da und als Männer der Tat gingen Otto und Wilfried an die Realisierung. Das Ziel der Rallye war schnell gefunden: Jordanien. Wilfried Gehr hatte Beziehungen in das Land. Auch der Start war klar: Der Heimatort der beiden: Oberstaufen im Allgäu. Alles was zwischen diesen beiden Punkten lag, war hingegen offen. Immerhin eine Strecke von gut 6.600 Kilometern.
Noch in der Nacht der Messe tüftelten die beiden ein Regelwerk aus. Dieses gilt noch heute. Im Groben: Die Fahrzeuge dürfen nicht teurer als 1.000 Euro sein. Navigationsgeräte und Autobahnen sind tabu.
Im selben Jahr wollten die zwei das Ganze einmal mit Freunden, in ein bis zwei Teams, ausprobieren. Doch es kam anders. Wilfried Gehr erzählte einem befreundeten Journalisten von der Sache. So landete eine kleine Notiz über diese verrückte Idee im Magazin „Stern“. Plötzlich waren für die Premiere 60 Fahrzeugen angemeldet.
Die rettende Idee
Doch es gab ein Problem im Zielland. In Jordanien würde jedes dort eingeführte Fahrzeug mit 120 Prozent des Neupreises besteuert werden. Das ist zuviel für die alten, zum Teil schrottreifen Vehikel. Deren Zeitwert lag weit vom Neupreis entfernt.
War das bereits das Aus? Der jordanische Rallyepräsident Sakher El Fayez holte zu diesem Zeitpunkt die Schwester von Jordaniens altem König Hussein, Basmah bin Tal. Bei einem gemeinsamen Tee mit Wilfried Gehr hatte sie die rettende Idee. Sie schlug vor, die Autos nicht in den Straßenverkehr einzubringen, sondern im Land zu verschrotten und in Einzelteilen zu verkaufen. Von dem Erlös sollten soziale Projekte im Land unterstützt werden. So kam zum Spaß- und Abenteuercharakter der Rallye auch der gute Zweck hinzu.
Der Charme der Einfachheit
Was macht die Rallye den nun so besonders? Was ist ihr Spirit? Das dürfte die bewusst gewollte Einfachheit sein. Die Regeln verlangen alte, billige Autos. Das sorgt unterwegs für Spannung und verlangt Improvisationstalent. Keine hochgezüchteten, mehrere zehntausend Euro teuren Rallyeboliden mit Servicetrucks und Teams mit zweistelligen Personenzahlen. Womöglich noch Werksteams, die schon für so manche Veranstaltung das Ende des Flairs bedeutet haben. Denn dann spielt am Ende nur noch das Geld eine Rolle.
Die Teilnehmer müssen die normale Infrastruktur der bereisten Länder nutzen. Doch halt! Nicht die Autobahnen. Die sind tabu. Alle Teams dürfen nur mit Karte und Kompass über Nebenstrecken, Pisten und Wüste zum Ziel finden. Übernachtet wird im Zelt, Auto oder Billighotel. Letzteres kann gleichfalls ein unkalkulierbares Abenteuer bedeuten. Es kann auch schon mal passieren, dass der ganze Tross den Marktplatz einer Stadt als Camp in Beschlag nimmt.
So wird die gewollte Unsicherheit zu einem Erfolgsfaktor für die Rallye. Sie ermöglicht das Ausbrechen aus dem organisierten Alltag und Touren mit kalkuliertem und reduziertem Risiko. Hier ist noch Improvisationstalent gefragt. Immer wieder wurden die Teams oder die ganze Veranstaltung zum Umplanen und Neudenken gezwungen. Dabei bedeutet die Freiheit nicht den Verzicht auf Regeln oder Normen, gerade auch bei der Begegnung und im Umgang mit den fremden Kulturen. Kurz gesagt, die Europa-Orient-Rallye bietet noch ein echtes Abenteuer.
Auf diese Art wird ein ganz besonderes Erlebnis mit garantierten Kontakten zu den Einheimischen bewahrt. Der Spaß und der gute Zweck stehen im Vordergrund. Aber sie ist auch fordernd und anstrengend. Ankommen ist die Devise, nicht unbedingt gewinnen. Wer ankommt, ist ein Gewinner.
Das Konzept der Europa-Orient-Rallye ist ein Konzept, das aufgeht. Die Rallye ist mittlerweile eine der größten überhaupt. Wer dabei sein will, muss schnell sein. 2015 waren alle 111 Startplätze innerhalb von drei(!) Minuten ausgebucht.
Die Rallye ist als Allgäu-Orient-Rallye gestartet. Mittlerweile wurde sie wegen ihres internationalen Charakters in Europa-Orient-Rallye umgetauft.
Helfer weltweit
Mittlerweile hat sich das klein ehrenamtliche Organisationskomitee auf der Route Kontakte geknüpft und ein helfendes Netzwerk aufgebaut. In der Türkei hilft Rallye-Chef Nadir Serin, in Israel Orly Lok und in Jordanien Husam Gauda weiter. Ihre Mithilfe ist ein Garant für den Erfolg der Veranstaltung.
Unruhige Zeiten für Rallyes durch politische Querelen
Leider ist auch die Europa-Orient-Rallye von den unruhigen Zeiten in den bereisten Ländern betroffen. Politik, Gewalt und Terror machen keinen Halt, auch nicht vor Helfern mit einem guten Zweck. Syrien war bis 2010 eines der Länder, die durchfahren wurden. Gerade hier spielt wieder das Netzwerk der Unterstützer eine große Rolle.
Einen Tag nach dem Start der Rallye 2011 begann der Putsch in Syrien. Bereits unterwegs musste umgeplant werden. Mit Unterstützung der türkischen Regierung wurde eine Ausweichroute über Nordzypern und Ägypten organisiert. Doch mitten auf dem Meer, bereits in ägyptischen Hoheitsgewässern, nahmen die ägyptischen Behörden die Einfahrgenehmigung zurück. Jetzt war der ganze Rallyetross auf dem Meer gestrandet. Zwei Tage später endete die Rallye 2011 in der Türkei. Die Fahrzeuge wurden dort veräußert und der Erlös den Opfern des schweren Erdbebens im Osten der Türkei gespendet.
Und wieder trat der Jordanier Sakher El Fayez auf den Plan. Er organisierte für alle Teilnehmer einen Flug nach Amman, damit die Teilnehmer, wenn auch ohne Autos, das Rallyeziel erreichen konnten.
Unbedingt neutral
Auch 2012 wurde ein Ausweichziel benötigt, Aserbaidschan. Dieses Ziel blieb jedoch in schlechter Erinnerung, da die lokalen Behörden zu sehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren, anstatt die Rallye zu unterstützen. Die Erfahrungen der Organisation über die Jahre, hinterließ nach eigener Aussage all zu oft den Eindruck, dass es im Grunde immer die einfacheren Menschen und Amtsträger waren, die echte Hilfe leisten. Desto behangener die Uniform und je stärker irgendein politisches Ziel von jemandem verfolgt wurde, desto eigennütziger wurde agiert. So achtet die Organisation stark darauf unpolitisch und religiös neutral zu bleiben und das Ereignis in den Vordergrund zu stellen.
Seit 2013 wird das ursprüngliche Ziel Jordanien wieder angefahren. Das ist jedoch nur durch die mittlerweile gut ausgebauten guten Kontakte in die Türkei und nach Israel möglich. Von Iskenderun setzen die Teilnehmer nach Israel über, um von dort nach Jordanien zu gelangen. So können die Teilnehmer Syrien umfahren.
Kurioses und Verrücktes
So eine verrückte Veranstaltung bringt eine ganze Menge an Kuriositäten und eigentümlichen Aktionen mit sich. Eine davon war ein Zweier-Volvo-Team bei der Rallye 2012. Normalerweise sind keine Zweiter-Teams zugelassen. Für den Mehrfachteilnehmer Michael Pangert machte die Leitung eine Ausnahme, sagte aber auch gleich, dass er selbst zusehen muss, wie er es schafft.
Natürlich ging das nicht ohne Probleme über die Bühne. 3.000 Kilometer vor dem Ziel erlitt der Volvo einen Motorschaden. Bei normalen Rallyes wäre das jetzt das aus. Das Team würde packen, den Wagen entsorgen oder abholen lassen und ab nach Hause verschwinden.
Nicht so bei der Europa-Orient-Rallye. Michael und sein Beifahrer nutzen kurzum alle möglichen und unmöglichen Verkehrsmittel, um nach Aserbaidschan zu kommen. Das Ziel in diesem Jahr, da in Syrien nach wie vor Unruhen tobten. Sie nutzen Busse, Züge, Eselskarren, Dolmushs (Gruppen-Miettaxi) und fuhren sogar per Anhalter um am Ende Baku am Kaspischen Meer zu erreichen. Mission erfüllt.
Gelebte Völkerverständigung und soziales Engagement
Das friedliche Miteinander und Hilfe für Benachteiligte wurde von Anfang an großgeschrieben und sind feste Bestandteile der Rallye. Neben den offiziellen Hilfsprojekten lassen sich auch immer wieder einzelne Rallyeteams Projekte einfallen, die ihnen persönlich am Herzen liegen. So kommt es zu vielen Wiederholungstätern, die in einem Jahr ein Projekt aufgreifen und sozusagen im Folgejahr wieder dabei sein müssen, um es umzusetzen. Um einige offizielle Projekte zu nennen:
- In Jordanien wurde eine Käserei für 177.000 Euro aufgebaut und zwei Jordanier wurden in Deutschland und Österreich zu Käsern ausgebildet.
- Mit dem Fraunhofer-Institut wurde für 110.000 Euro ein Wasser-Labor eingerichtet, um Jordanier in der Trinkwasseraufbereitung auszubilden.
- Bisher konnten für 680.000 Euro Kindern Cochlea-Hörimplantante eingesetzt werden. Und für die laufende Versorgung mit Batterien wurde auch gesorgt. Gegenwert 680.000 Euro
- Der Sancaktepe Rallye Park in Istanbul wurde für 49 Jahre der Rallye überlassen. Im Gegenzug brachten 2013 die Teilnehmer Bäume zur Bepflanzung mit und ein Jahr später die ersten Balken für eine Jugend-Begegnunsstätte.
In 2014 wurden alle 666 Teilnehmer mit einem ökumenischen Gottesdienst für Christen, Muslime und Juden auf die Strecke entlassen. Teams aus 18 Nationen machten sich auf den Weg und alle kamen ins Ziel. Scheinbar wird hier mehr erreicht, als Politik es jemals schaffen zu vermag.
Die Rallye 2018 steht in den Startlöchern
Am 05. Mai 2018 geht es wieder los. Um dem zunehmend internationalen Charakter der Rallye gerecht zu werden, beginnt sie erstmals vom französischen Straßburg aus gen Orient. Sie wird von der Europäischen Union unterstützt und die Teilnehmer starten direkt vor dem europäischen Parlament.
Das Beste kommt zum Schluß
Unter allen Matsch&Piste-Lesern wird ein Startplatz velost! Wer sich zuerst bei uns unter dem Motto „Matsch&Piste goes Jordanien“ meldet und wirklich ernsthaftes Interesse an einer Teilnahme hat, kann garantiert und ohne Startgebühr an der Rallye teilnehmen. Von uns bekommt er noch große Matsch&Piste-Aufkleber und 100 Euro Taschengeld!
Zur Webseite der Europa-Orient-Rallye.
© Fotos: OK der Europa-Orient-Rallye