Langsam neigt sich die Reise von Frau Scherer mit ihrer Besatzung Berit, Heppo und Hund Sidi dem Ende zu. Aber zunächst geht es noch durch Togo.
In Togo sollen an einem Stausee bei Mango Flusspferde leben. Schon bald stehen wir zusammen mit unserem Guide an dem morastigen Ufer: Vor uns entdecken wir eine Gruppe von etwa 15 Tieren mit mehreren Kälbern. Kaum 30 Meter von uns entfernt planschen sie vergnügt im Wasser. Ich bin jedoch argwöhnisch; Hippos gelten als sehr gefährlich und aggressiv. Doch diese Exemplare scheinen an Menschen gewöhnt zu sein, denn sie lassen sich nicht stören. Das schräge Abendlicht ist besonders schön, als wir zurück zum LKW gehen. Frauen und Kinder, die mit orangen Plastikkanistern am Kopf Wasser holen, lassen sich lächelnd von mir fotografieren.
Ambivalente Sache: Tierparks
In Sarakawa kann man gleich zwei Tierparks besuchen. Den einen lassen wir gleich links liegen, denn die Elefanten dort sind nur hinter einem Gehege zu bestaunen. Den anderen wollen wir uns aber ansehen, denn er hat deutlich mehr Safari-Charakter. Immerhin, mit einem Jeep werden die Besucher durch das weitläufige Areal gefahren. Kritisch zu sehen ist allerdings auch diese Anlage, denn neben vielen einheimischen Tierarten wie Büffel und Wasserböcke wurden auch Zebras und Gnus aus Südafrika ausgewildert. Toll ist aber, dass wir von den soeben genannten erstaunlich viele beobachten können.
Was uns aber im Anschluss des Besuches komplett die Laune vermiest, ist Folgendes: Ein paar bedauernswerte Krokodile werden da in einem ausgetrockneten Betonbecken gehalten. Auch zwei verstörte Affen sind an Bäumen angebunden. Immer wieder laufen sie ihren eng abgesteckten Radius ab. Weil die Kette sich um den Stamm wickelt, verkleinert sich dieser winzige Bewegungsspielraum auch noch ständig.
„Warum lasst ihr die Affen nicht frei?“, wollen wir wissen. „Weil sie uns sonst nur nerven würden!“, antwortet einer der Ranger. „Sie machen einfach alles kaputt! Und sie bleiben trotzdem hier. Sie sind schon so sehr an diesen Ort gewöhnt.“
Wir sind entsetzt. Nicht mal etwas zu trinken haben die beiden in ihren Plastikbehältern. Heppo entwirrt die Kette der kleinen Kerle und füllt frisches Wasser auf. Sollen wir die beiden befreien? Das traue ich mich nicht, doch irgendetwas müssen wir tun. Wenigstens für die Krokodile wollen wir uns einsetzen und drohen mit einer Sitzblockade. Die Ranger versprechen sofort zu handeln, bleiben aber dann doch tatenlos im Schatten sitzen. Jetzt werden wir sauer: „Die schlechte Tierhaltung wirkt sich auch negativ auf eure Jobs aus! Niemand möchte leidende Tiere sehen!“, halte ich ihnen eine Standpauke. Wahrscheinlich bestätige ich in den Augen der Pfleger gerade alle Klischees einer besserwisserischen Weißen. Warum also nicht selbst mit gutem Beispiel vorangehen?
Hartnäckigkeit hilft
„Wir werden das Becken selbst auffüllen!“
Nun verstehen die Männer, dass wir es wirklich Ernst meinen. Seufzend stehen sie auf, organisieren einen Schlauch und schließen diesen an die Wasserleitung an. Geht doch!
Trotzdem, den Besuch des Sarakawa-Parks können wir nicht wirklich empfehlen. Wer dennoch auf einen Besuch nicht verzichten möchte, dem rate ich, eine Kneifzange mitzunehmen. Mal sehen, ob die Affen wirklich Lust auf ein Leben in Gefangenschaft haben?
Heppo hat noch nicht genug. Er will unbedingt zu einem weiteren Naturreservat bei Fazao. Ich habe allerdings bereits das Gefühl, dass sich die Sache als ein Reinfall entpuppen wird. Und tatsächlich, der Fazao-Melfacassa-Nationalpark hat bereits seit ein paar Jahren geschlossen. Ausnahmegenehmigungen für einen Besuch scheint es dennoch manchmal zu geben. Leider ist aber der Schlüssel zur Schranke unauffindbar.
Kein Geld für Instandhaltung
Das ehemals schöne und große Hotel am Ortsrand verfällt. „Wie seltsam!“, denke ich mir. „Warum nur lässt man all das derartig verkommen? Dieser Ort ließe sich doch prima für den internationalen Tourismus vermarkten. Wird das Areal vielleicht mittlerweile zu anderen Zwecken benutzt?“ Ich denke da an geheime Folterlager oder Trainingscamps für militante Gruppen…
Hoffentlich geht an dieser Stelle nur meine – zugegeben sehr lebhafte – Fantasie mir durch. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Gelder zum Erhalt der Infrastruktur zweckentfremdet wurden.
Immer wieder warten oder selbst tätig werden
Der Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung hält uns hin, wir sollen uns gedulden. Aber untätiges Herumsitzen ist nicht unser Ding. So ziehen wir auf eigene Faust los, um die Umgebung des Dorfes zu erkunden. Zuerst steigen wir auf den Hügel, der malerisch hinter dem Ort liegt.
Von dort haben wir eine tolle Aussicht: Mindestens zehn Moscheen zählen wir, ziemlich viele, für die paar tausend Einwohner.
Weiter folgen wir einem schmalen Pfad, der uns in den Wald hineinführt. Eigentlich wollen wir nur ein oder zwei Stunden unterwegs sein, doch dann haben wir Lust, weiter zu wandern. Aus unserem Spaziergang wird eine mehrstündige Tour. Entlang eines ausgetrockneten Flusslaufs geht es vorbei an Obstplantagen, tiefer in den Busch hinein. Wir hoffen, auf eigene Faust einen Zugang zum Nationalpark zu finden, um dort wilde Tiere zu erspähen.
Doch die haben offenbar Besseres zu tun, als für unsere Kameras Modell zu stehen. Dafür stoßen wir auf bewaffnete Jäger. Oder haben wir uns diese etwa nur eingebildet? Gerade schienen sie noch vor uns auf dem Weg zu stehen, nur einen Wimpernschlag später sind die beiden verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Seltsam ist das! Vielleicht sollten wir doch besser umkehren?
Eigeninitiative zahlt sich aus
Unser Entdeckergeist ist dennoch geweckt. Auf unserer digitalen Landkarte glauben wir die Zufahrt zum Park ausgemacht zu haben. Die staubige Piste führt erst ein Stück durchs Dorf in Richtung Norden, dann weiter in den Busch hinein. Der Zustand der Straße wird immer schlechter, aber wir kommen trotzdem gut voran. Bald schon stehen wir vor einem Schild, auf dem Nationalpark steht. Bingo! Und die Schranke dahinter ist nicht(!) abgesperrt. Von wegen: Schlüssel verlegt!
Ein bisschen Ärger gibt es schon
Leider hören wir nun aber bereits die Geräusche eines sich nähernden Motorrads. Offenbar stehen wir unter strenger Beobachtung, denn Dorfpolizist und Forstbeamter sind uns gefolgt. Beide sind ziemlich sauer, dass wir ihre Regeln derartig missachten.
„Moment mal, welche Regeln?“, kontere ich. „Es hieß doch nur, wir sollten warten, bis der Schlüssel wieder auftaucht, und dann ist die Schranke noch nicht einmal abgesperrt! Wenn es nach uns geht, können wir morgen gerne zusammen mit Monsieur Ranger losziehen!“
Aber jetzt geht der Ärger erst richtig los. „Habt ihr denn gar keinen Anstand?“, schimpfen die beiden nun. „Hier geht es aber nicht nach euch! Ihr könnt doch nicht einfach in ein fremdes Haus gehen und euch dort Zutritt verschaffen!“
Oh je, das Argument ist gut. Sie haben Recht. Das gehört sich wirklich nicht! Der Polizist, eigentlich ein netter, wechselt im Tonfall zwischen stark verärgert und freundlich amüsiert. Verärgert tut er vor allem dann, wenn er uns für unser Fehlverhalten schilt, amüsiert ist er hingegen, weil ich im Laufe unserer Unterhaltung versuche, den lästigen Minifliegen zu entkommen, die alles daran setzen, in unsere Augen, Nasen und Ohren zu kriechen.
Während ich wortreich unser Verhalten entschuldige, hüpfe ich wild umher, wedele dazu mit beiden Armen und Händen. Diese Viecher sind echt zum Aus-der-Haut-fahren! Der Polizist sieht meine Not, unterbricht daraufhin seine Schimpftirade, um mir sehr liebenswürdig die richtige Wedeltechnik mit einer farnartigen Pflanze zu zeigen, nur um uns dann, als ich es endlich draufhabe, weiter ordentlich die Leviten zu lesen. Immerhin stimmt die Grundsympathie zwischen uns, und so lassen wir die Standpauke der Form halber über uns ergehen. Die Situation hat schließlich auch etwas Lustiges.
Unverrichteter Dinge werden wir zurück zum verlassenen Hotel eskortiert. Um die Sache gut abzuschließen, wollen wir den beiden das Benzingeld nicht vorenthalten, das sie nun von uns verlangen. Der Forstwirt fordert mehr. Der Polizist, ein Mann mit Ehre, hält seinen gierigen Kollegen zurück: „Es geht hier nicht um Geld. Die Sache ist hiermit aus der Welt geschafft!“ Dann fügt er etwas kryptisch hinzu: „Wir wollen doch vor allem, dass wir alle keine Probleme bekommen!“
Hoch und heilig müssen wir ihnen versprechen, keine weiteren Ausflüge mehr auf eigene Faust zu unternehmen. Auch sollen wir gleich morgen früh Fazao verlassen. Meiner Meinung nach kann sich das Dorf wirklich glücklich schätzen, so einen besonnenen, strengen und zugleich humorvollen Ordnungshüter zu haben. Guter Mann! Was in dem Nationalpark allerdings vor sich geht, werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Vielleicht ist das aber auch besser so?!
Künstlerstadt Kpalimé
Kpalimé ist die viertgrößte Stadt Togos und in unserem Reiseführer als ein Paradies für Künstler angepriesen. Eine Kunstschule soll es hier geben, die Malerei, Bildhauerei und das Schneiderhandwerk lehrt. Auch Färbetechniken und Batik stehen auf dem Lehrplan. Die Gegend rund um die Stadt gilt als eine der schönsten des Landes. Uns locken vor allem die zahlreichen Wasserfälle rund um den Ort, zum Beispiel der bei Kpimé.
Doch die Jungs, die dort Souvenirs verkaufen, sind echte Halsabschneider. 40.000 CFA (ca. 60 Euro) wollen sie von uns für den Eintritt. Aus gesicherten Quellen wissen wir jedoch, dass dieser offiziell nur 1000 CFA pro Person kosten darf. Diese Art der Abzocke ärgert mich maßlos. Ich frage mich, ob die uns wirklich für so dumm halten. Die Antwort erhalte ich fast direkt: „Letzte Woche war jemand da, der hat, ohne mit der Wimper zu zucken, diesen Preis bezahlt!“, meint einer der Burschen. „Ja, probieren kann man es mal!“, grantle ich zurück. „Aber nicht mit uns!“
Wo Menschen singen, da lass Dich nieder…
Da fahren wir lieber weiter in die Stadt. Leider haben wir keine Ahnung, wo wir heute Nacht bleiben werden, und es wird bereits dunkel. Doch das Schicksal meint es gut mit uns: Kaum haben wir das Ortsschild passiert, überholt uns ein bleicher, rothaariger Sportfreak mit seinem Rennrad. Lutz begrüßt uns überschwänglich auf Deutsch. Dann zückt er sein Handy, von dem aus er mit seinem Freund Thomas telefoniert. Dieser willigt sofort ein, uns bei sich aufzunehmen, ist aber leicht gestresst: „Macht es euch gemütlich. Leider habe ich nur im Moment gar keine Zeit für euch. Meine Band ist zum Proben hier! Wir haben einen Auftritt, auf den wir uns vorbereiten müssen.“
Ohne Kreativität und Improvisation geht es nicht
Nächste Woche soll nämlich im Dorf Agou-Nyogbo, etwas außerhalb von Kpalimè das Ital-Fest, ein veganes Reggae- und Yogafestival, stattfinden. Der Name Ital hat übrigens nichts mit Italien zu tun, sondern bedeutet bei den Rastafaris angeblich Achtsamkeit. Spontan bieten wir an, zu bleiben und bei den Vorbereitungen mitzuhelfen. Wir können kochen, dekorieren und uns beim Zimmern der Bühne nützlich machen.
Im Orgateam sind u.a. Thomas, der sich als ausgebildeter Koch vor allem um das leibliche Wohl kümmern wird, Ayelevi, eine hübsche, großgewachsene Togolesin mit korsischer Mutter und Marco, der Wurzeln im Benin und in Frankreich hat und das Permakulturprojekt Zion Gaia ins Leben gerufen hat. Weitere Helfer sind Natascha, aus Frankreich, die einige Zeit in Kpalimé lebte und die Jungs von der Rasta-Family, einer togolesischen Aussteiger-Community, die sich am höchsten Berg Togos, dem Mont Agou (986 Meter über dem Meeresspiegel) niedergelassen hat, um dort als Selbstversorger zu leben.
Als ich den Festivalplatz in Agou zum ersten Mal sehe, bekomme ich einen Schrecken. In nur drei Tagen soll die große Party steigen, und es ist noch überhaupt nichts vorbereitet. Als Bastel- und Dekomaterial liegen einige Meter Stoff herum, etwas Papier und Farbe. Als Baumaterial dienen ein paar kümmerliche Bambusstangen. Das kann ja heiter werden! Wir haben keine Zeit zu verlieren und machen uns ans Werk.
Ein Musiker aus Burkina Faso ist bereits angereist. Sein Name ist Baliku. Weil seine Gage nicht sonderlich üppig ausfällt, reiste er ohne seine Begleitband an. Nun muss er innerhalb von drei Tagen Musiker finden, die seine Lieder spielen können. Ein Schlagzeuger immerhin ist schnell parat: Heppo freut sich über die einmalige Gelegenheit, auf einem Festival in Togo trommeln zu dürfen.
Es ist Ende Februar, und bei einem Telefonat mit meiner Familie in Deutschland erfahre ich zum ersten Mal von dem neuartigen Coronavirus, das aus China im Anmarsch sei. „Die Sache kann zu einer globalen Pandemie werden!“, höre ich die besorgte Stimme meines Vaters. Nach unserem Gespräch erzähle ich Heppo davon. Doch der winkt ab: „Sars, Schweinegrippe, Rinderwahnsinn, was gab es nicht schon alles?“
Geschafft!
Richtig, bisher war alle Aufregung meist völlig umsonst. Schnell ist das Thema auch wieder vergessen. Man braucht uns. Gerade werden nämlich die Bühnenteile angeliefert. Und dann ist auch schon der erste Tag des Festivals: Wir sind stolz auf uns! Mit einfachsten Mitteln, haben wir es geschafft, das Gelände richtig toll herzurichten. Die Beschilderung ist angebracht. Die Bühne ist montiert und mit Palmwedeln geschmückt. Die Verkaufs-, Essens- und Getränkestände sind aufgebaut. Die von der Dekogruppe gemalten Bilder hängen. Die Klos und Duschen stehen. Die Wassertonnen sind aufgefüllt. Der Frauen- und Meditationskreis ist mit Kissen und Decken ausgestattet. Und für die Yogis wurde ein gemütlicher Platz unter einem Mangobaum hergerichtet. Sogar eine Mal-Ecke für Kinder gibt es.
Auf der Bühne unterhält eine Gruppe aus Lomé das Publikum mit lehrreichen Theaterstücken, in denen es zum Beispiel darum geht, den Müll nicht einfach in die Natur zu werfen. Ein Soundsystem legt anschließend bis drei Uhr morgens auf. Die Stimmung ist auch ohne Alkohol und Drogen – die hier strikt verboten sind – sehr gut. Allerdings glaube ich bemerkt zu haben, dass heimlich doch die eine oder andere Flasche Sodabi (Palmschnaps) ihre Runde dreht. Im Großen und Ganzen jedoch halten sich fast alle an das Abstinenz-Gebot!
Ohne Brummschädel fällt auch die Yoga-Praxis am Morgen leichter. Danach ein Ananas-Ingwer-Saft, und der Tag kann beginnen. Gerade findet der Sound-Check in Form einer Session statt. Auch Heppo spielt mit. Später beim Auftritt scheint Baliku mit der Performance seiner zusammengewürfelten Band sehr zufrieden zu sein. Das Publikum gibt ihm Recht und tanzt ausgelassen. Der Höhepunkt des Abends ist dann sicherlich Assassin, die Band bei der auch Thomas und Marco mitspielen. Was für ein schöner Abend! Was für ein tolles Festival!
Wir bedauern aus tiefstem Herzen, dass wir Togo so bald schon verlassen müssen. Spätestens im April wollen wir nämlich Guinea in Richtung Senegal durchqueren. Im Mai – während der Regenzeit – wird das unmöglich sein, angeblich sind die Straßen dann unpassierbar. Für unsere Fahrt durch Ghana und die Elfenbeinküste bleiben uns also weniger als vier Wochen. Kein Ding der Unmöglichkeit, aber für uns trotzdem eine Herausforderung, denn unser Expeditionsmobil namens Frau Scherer ist bekanntlich nicht das schnellste!
Was wir jetzt jedoch noch nicht wissen ist, dass alles ganz anders kommen wird…
Über die Autoren:
Berit, Heppo und Frau Scherer im Netz: www.la710.de/wordpress
Instagramer können Frau Scherer unter @roadtripfrauscherer folgen.
Im September 2018 ist ihr Buch über ihre Reisen und Erlebnisse im Delius Klasing Verlag erschienen: Roadtrip mit Frau Scherer.
© Fotos: Berit Hüttinger und Andreas Helmberger