Turkmenistan gehört zu den ehemaligen Sowjetrepubliken und liegt am Kaspischen Meer. Oliver Neumann besuchte das Land und berichtet über seine Eindrücke, nunmehr knapp 30 Jahre nachdem das Land selbstständig wurde.
Turkmenistans Präsident Gurbanguly Mälikgulyýewiç Berdimuhamedow mag die Farbe weiß. Das ahnt man schon, wenn man Bilder seiner in besten, italienischen Marmor gehüllten Hauptstadt Aschgabat sieht. Vielleicht kommt dieses Faible noch aus der Zeit, in der er als Zahnarzt gearbeitet hat. Wenn er die Zähne aller seiner Patienten ebenso schön sauber und weiß gehalten hat wie Aschgabat, dann war er sicherlich ein beliebter Arzt. Vielleicht hätte er aber auch besser bei dieser Profession bleiben sollen, denn schon bald nach seiner Amtsübernahme trat er in die Fußstapfen seines Vorgängers und schlägt seither kräftig über die Strenge, beim Versuch einen Personenkult rund um sich selbst aufzubauen.
Damit seine weiße Hauptstadt nicht verschandelt wird, sollen dort nur weiße Autos fahren, schwarze dürfen nicht importiert werden. Fahrzeuge in Aschgabat müssen zudem sauber sein. Wer nicht dafür sorgt, riskiert ein Bußgeld. Freunde von uns wurden aus diesem Grund prompt von der Polizei gestoppt und – immerhin ohne Strafe – zur Autowäsche geschickt.
Traurige Realsatire – ein kurzer politischer Rückblick
Im Vergleich zu seinem Vorgänger Saparmyrat Nyýazow könnte man Berdimuhamedow schon fast als gemäßigt bezeichnen, obwohl er stark daran arbeitet, aufzuholen. Nyýazow hatte die Präsidentschaft ab der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 übernommen und das Land bis zu seinem Tod im Jahr 2006 als Alleinherrscher geführt. Recht bald schon ließ er überall Statuen von sich, seinem Vater und seiner Mutter aufstellen. Sein Buch Ruhnama wurde zur Pflichtlektüre des Volkes erklärt. Es geht darin um Geschichte, Verhaltensregeln und Religion. Ein Viertel der Schulzeit musste dem Buch gewidmet sein. Teile der Fragen während der Führerscheinprüfung beschäftigten sich mit dem Inhalt des Buches.
1993 begann Nyýazow sich Turkmenbaschi, Führer der Turkmenen, zu nennen. In der Folge erhielten Schulen, Straßen, Flugplätze, Wodka, eine Stadt und sogar ein Meteor diesen Namen. Überhaupt schien der Führer mit vielen alten Bezeichnungen unzufrieden zu sein. Die Monate des Jahres benannte er nach historischen Turkmenen oder seiner Mutter. Auch vor den Wochentagen machte er nicht halt und verpasste ihnen neue Namen. Einiges wurde nach Amtsantritt von Berdimuhamedow wieder rückgängig gemacht. Die neuen Monats- und Tagesnamen wurden 2008 abgeschafft und Ruhnama ist aus dem Schulunterricht und den Prüfungen verschwunden. Das Ruhnama-Denkmal steht zwar noch, aber das dargestellte Buch öffnet und schließt sich nicht mehr. Angeblich ist der Mechanismus dafür kaputt.
Diese Aufzählung von Skurrilitäten, die leider alle zu Lasten der Bevölkerung gehen, könnte man fast endlos fortsetzen.
Besuchte Highlights
Dennoch freuen wir uns auf das Land. Seit wir vor Jahren ein Foto des brennenden Derweze Gaskraters „Tor zur Hölle“ (2) gesehen hatten, wollten wir diesen einzigartigen Ort besuchen. Nur eine Transitfahrt durch Turkmenistan bietet die Chance, dort eine Nacht ohne Aufpasser zu verbringen. Hinzukommt Aschgabat (1) – eine der pompösesten Städte der Welt. Bei fünf Tagen Transit auf einer vorher festgelegten Route bleibt nicht mehr viel zu besuchen. Die Zeit reicht gerade noch für eine Besichtigung der Weltkulturerbestätte Gurgandsch, auch Alt-Urgench genannt, eine frühere Hauptstadt Choresmiens (3).
Visa für Turkmenistan
Für Privatreisen nach Turkmenistan stehen zwei Visa-Typen zur Verfügung, ein Touristenvisum oder ein Transitvisum. Das Touristenvisum zu erhalten ist ein teurer und zeitaufwendiger Prozess. Die Organisation erfolgt über staatliche, turkmenische Unternehmen, mit denen im Vorfeld die exakte Route geplant werden muss. Man darf sich als Tourist nicht alleine im Land bewegen, sondern wird immer einen Tourguide dabei haben, eventuell zusätzlich einen Fahrer.
Die einzige Möglichkeit, sich alleine zu bewegen ist im Rahmen eines Transitvisums. Turkmenistan stellt solche Visa für diejenigen aus, die von einem Nachbarland in ein anderes reisen möchten. Je nach Route beträgt die Gültigkeit eines Transitvisums zwischen drei und fünf Tagen.
Das Transitvisum erhält man bei den Turkmenischen Botschaften. Die meisten Reisenden, die wie wir vom Iran durch Turkmenistan nach Usbekistan fahren, beantragen das Transitvisum entweder in Teheran oder Maschhad und holen es nach mindestens zehn Tagen Bearbeitungszeit in Maschhad ab, da es von dort zur Grenze nicht mehr weit ist.
Sonderfall Österreich
Wir haben dadurch, dass ich Österreicher bin, einen Sonderweg wählen können. Nach unseren Recherchen ist die turkmenische Botschaft in Wien die einzige, die Transitvisa-Anträge auch per E-Mail ohne persönlichen Besuch bearbeitet. Unsere erste Anfrage wurde zunächst abgelehnt, da wir keinen Wohnsitz in Österreich haben, sondern in Deutschland. Nach erneuter Nachfrage und Hinweis auf meine österreichische Staatsbürgerschaft, wurde nicht nur mein Antrag sondern auch der meiner Ehefrau Dagmar bearbeitet und bewilligt. Allerdings ist für diesen Antrag der bürokratische Aufwand recht hoch. Es wird beispielsweise eine Bestätigung des Arbeitgebers mit Stempel und Unterschrift gefordert. Da Dagmar trotz Langzeitreise noch angestellt ist und online einen Tag die Woche arbeiten kann, war es uns möglich, diese Forderung zu erfüllen. Die Beantragung in Teheran oder Maschhad scheint nach den Berichten anderer Reisender mit weniger Papierkrieg verbunden zu sein.
Früher glich der Antrag auf ein turkmenisches Transitvisums einem Lotteriespiel. Nur etwa 50% bekamen das Visum. In 2019 haben wir allerdings niemanden getroffen, der abgelehnt worden ist. Es scheint sich also etwas entspannt zu haben. Ebenfalls hat sich offenbar geändert, dass Visa nicht zwingend mit einem festen Datum ausgestellt werden. Wir haben bei der Beantragung zwar ein geplantes Einreisedatum angegeben, dann aber ein Bewilligungsschreiben erhalten, mit dem wir innerhalb von drei Monaten bei jeder turkmenischen diplomatischen Vertretung das eigentliche Visum abholen konnten. Erst dabei wurde das Einreisedatum festgelegt.
Einreise mit dem eigenen Fahrzeug
Ein Carnet wird nicht benötigt. Wir mussten beim Visumsantrag die Fahrzeugpapiere und Führerscheine vorlegen. Bei der Einreise wurde der deutsche Fahrzeugschein geprüft und Geld für eine Haftpflichtversicherung verlangt. Ob diese Versicherung im Zweifel tatsächlich etwas zahlen würde, können wir nicht sagen.
Dieselqualität in Turkmenistan
Die Dieselqualität in Turkmenistan ist gut. Die aktuellste Übersichtskarte der Vereinten Nationen vom Juli 2018 gibt den Schwefelgehalt mit 50 bis 500 ppm an. Wir haben in Aschgabat vollgetankt und kurz vor Usbekistan bei Konya-Urgench. Beide Tankstellen waren modern und sauber.
Eigentlich ist das Befüllen von Ersatzkanistern nicht erlaubt, aber an der Tankstelle bei Konya-Urgench erhielten wir unauffällig neben dem Auto und außerhalb des Blickwinkels der Überwachungskamera eine Füllung. Der Tankwart nahm die als Dank angebotene Zigarette gerne an. Da unter Umständen Diesel in Usbekistan nicht so leicht zu bekommen sein könnte, empfiehlt es sich nach Möglichkeit, in Turkmenistan jedes Behältnis vollzutanken.
Dieselverfügbarkeit in Turkmenistan
Auf der von uns gefahrenen Strecke gibt es ausreichend Tankstellen.
Wild-Campen in Turkmenistan
In Aschgabat gibt es die Möglichkeit, kostenlos auf dem Parkplatz des Ak Altyn Hotels zu übernachten. Man steht dann neben den teuren Fahrzeugen der einheimischen Gäste, aber niemand stört sich daran.
Auf dem Weg nach Norden führt die Strecke quer durch die Wüste. Hier kann man problemlos Plätze finden. Eine Übernachtung direkt am Tor zur Hölle ist mehr als empfehlenswert. Bei Konya-Urgench haben wir mit dem Wachpersonal der historischen Stätte Alt-Urgench gesprochen. Es war kein Problem, auf dem Parkplatz eine Nacht zu verbringen.
Bajgiran – der letzte Stopp im Iran
Früh morgens machen wir uns im iranischen Grenzdorf Bajgiran auf den Weg zum Kontrollposten. Dunst hängt in der Luft, es ist kalt und ungemütlich. Auf 1.600 Meter Höhe hat Anfang April der Frühling noch nicht Einzug gehalten. Die hügelige Landschaft ist geprägt von Brauntönen, nur etwas Gras kämpft sich durch die Erde.
Während wir in Richtung Grenze nach Norden den Berg hinauffahren, sehen wir keinen Menschen. Das Dorf wirkt wie ausgestorben. Wobei die Bezeichnung Dorf schon hoch gegriffen scheint. Bajgiran ist eine Ansammlung weniger Häuser rund um einen Militärposten und die Grenzpolizei. Dennoch soll es hier die Möglichkeit geben, bei Taxifahrern iranische Rial in turkmenische Manat zu tauschen. Wir haben noch einen Gegenwert von etwa 50 Euro übrig.
Nachdem immer noch niemand auf der Straße zu sehen ist, halten wir an einer Kreuzung, die am ehesten wie ein Zentrum anmutet. Es vergehen keine fünf Minuten, da bleibt ein Taxifahrer neben uns stehen und fragt, ob wir Geld tauschen möchten. Wir bejahen. Er fährt 100 Meter weiter, hält an einem kleinen Lebensmittelladen, verschwindet im Inneren und kommt mit einem Bündel Manat wieder heraus. Der Kurs, den er uns anbietet, entspricht nach unserem Kenntnisstand dem aktuell auf dem Schwarzmarkt üblichen. In aller Ruhe zählen der Taxifahrer und wir unser Geld auf der Motorhaube seines Wagens und beide Seiten sind glücklich und zufrieden.
Einreise nach Turkmenistan
Nun können wir weiter zum Grenzposten. Auf iranischer Seite sind wie immer alle sehr freundlich. Es dauert ein wenig, bis wir den für das Carnet de Passage zuständigen Beamten im Gebäude aufstöbern können, aber dann werden wir prompt bedient. Das Carnet wird korrekt ausgefüllt und unser Auto einer letzten Prüfung unterzogen. Dann öffnet sich ein Eisentor und wir verlassen nach sechs Wochen den Iran.
Auf turkmenischer Seite halten wir zunächst an einem kleinen Wachposten. Dort werden zum ersten Mal unsere Namen, Ausweisnummern und Fahrzeugdetails in ein dickes Buch handschriftlich übertragen. 50 Meter weiter halten wir erneut und betreten das Haupthaus. Am Schalter vor Kopf werden die gleichen Details wie schon eben in ein ähnlich dickes Buch eingetragen. Eine strenge Turkmenin verlangt 24 US Dollar Einreisesteuer und im Anschluss werden wir getrennt. Dagmar geht weiter durch die Sicherheitskontrolle im Gebäude, während ich als Fahrer mich um das Auto kümmern muss.
Der Veterinär und der Bankier
Als ich auf der Vorderseite des Gebäudes stehe, kommt ein Mann mit dem Mund voller Goldzähne auf mich zu. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dies ein Anblick sein würde, den ich in den ehemaligen Sowjetstaaten häufiger erleben würde. Er sprich ein wenig Englisch. „Komm mit!“ meint er freundlich. In einem Nebengebäude betreten wir das Büro des Veterinärs. Ich setze mich und wir plaudern ein wenig. Goldzahn, wie sich später herausstellt, ist er der Bankier, bei dem ich viel Geld loswerden sollte, kommt aus Aschgabat im Süden Turkmenistans und sein Frau aus Konya-Urgench kurz vor der Grenze zu Usbekistan im Norden. Daher fährt er unsere geplante Strecke häufiger. „Ich fahre vorsichtig, deshalb brauche ich sieben bis acht Stunden für die Strecke. Taxis schaffen sie in nur fünf bis sechs Stunden.“ Klingt nicht mal schlecht für die rund 500 Kilometer. Noch habe ich keine Ahnung, in welch fürchterlichem Zustand die letzten 200 Kilometer sind und kann diese Geschwindigkeitsrekorde gar nicht gebührend bewundern. Irgendwann meldet sich auch der Veterinär zu Wort und möchte wissen, ob wir Tiere dabei hätten. Nachdem ich verneine, ist seine Pflicht getan und der Bankier und ich ich gehen ins nächste Büro.
Ein uralter Mann sitzt an einem Schreibtisch. Mit zittrigen Händen beginnt er, unsere Einreiseerlaubnis auszufüllen, immer wieder vom Bankier korrigiert und unterstützt. Unser Pick-up wird als „Truck“ eingestuft. Wir vermuten, dass dies der Grund ist, warum wir mehr zahlen müssen als die meisten anderen Reisenden, die wir getroffen haben. An böse Absicht glauben wir nicht. Üblich sind rund 150 US Dollar, bei uns beläuft sich die Summe auf über 180. Sie setzt sich wie folgt zusammen:
- Fahrzeugdesinfektion (die nie stattgefunden hat): 5$
- Einreise und Transit: 50$
- Subventionsausgleich für Diesel: 63$
- Kfz-Haftpflichtversicherung: 50$
- GPS Gerät: 10$
- Dokumentenbearbeitung: 5$
- Summe: 183$
Mit der ausgefüllten Einreiseerlaubnis gehen wir in das Büro des Bankiers, wo die Summe in bar beglichen werden muss. Anschließend begleitet er mich in ein weiteres Büro. Es wird neuer Papierkram erledigt, was genau, kann ich unmöglich sagen.
GPS Überwachung
Wir überqueren den Hof zu einem weiteren Gebäude und ich werde in ein großes, fast leeres Zimmer geführt. Am Ende des Raumes, gegenüber der Tür, steht ein Schreibtisch hinter dem ein dicklicher uniformierter Turkmene mit grimmiger Miene vor einem Computer sitzt und auf die Tastatur einhämmert. Seitlich an der Wand stehen einige Stühle und mir wird mit einem Kopfnicken bedeutet, ich solle mich hinsetzen und warten. Neben dem Computer steht ein kleiner Fernseher. Das Programm kann ich nicht sehen, aber er ist unschwer zu überhören. Für meine Ohren türkisch anmutende Folkloremusik plärrt aus dem Kasten. Hinter dem grimmigen Beamten steht eine schmale Holzbank ohne Lehne, auf der ein Soldat auf dem Rücken liegt, und, die Mütze über die Augen gezogen, vorgibt zu schlafen. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, wie er bei dem Lärm tatsächlich schlafen sollte.
Die Zeit verstreicht, der Beamte hämmert auf seiner Tastatur, ich sitze und warte. Bis die Eingangstür zaghaft aufgeht und der Veterinär eintritt. Er spricht ein paar Worte mit dem Grimmigen und winkt mich anschließend hinaus vor die Tür. Kaum draußen fragt er mich, ob ich Zigaretten hätte. Habe ich, obwohl ich Nichtraucher bin. Wir hatten uns im Iran extra noch mit dem erlaubten Maximum von zwei Päckchen pro Person eingedeckt, weil wir wussten, dass Zigaretten ein begehrtes Gut in Turkmenistan sind und schon fast wie eine Währung eingesetzt werden können. Kurze Zeit war der Handel mit Tabak komplett verboten, inzwischen werden Zigaretten aber neben dem Schwarzmarkt auch wieder über staatliche Geschäfte verkauft.
Als der Doktor die iranische Marke sieht, ist ihm die Enttäuschung deutlich anzumerken. „Hast Du keine europäischen?“, möchte er wissen. Nimmt sich dann aber gerne drei Zigaretten aus der Packung und zündet direkt eine an. Aus Solidarität und weil ein Freund an der Grenze nicht schaden kann, rauche ich ebenfalls eine mit. In ganz Turkmenistan ist das Rauchen in der Öffentlichkeit verboten. Das bedeutet überall außerhalb explizit gekennzeichneter Bereiche von denen hier jede Spur fehlt.
Unterdessen keine Änderung im Büro. Der uniformierte Beamte hämmert, die Musik brüllt in unverminderter Lautstärke und der Soldat liegt weiterhin auf der Bank. Ich setze mich wieder auf meinen Stuhl an der Seitenwand. Im Fernseher wird ein neues Lied angestimmt. Und plötzlich beginnt eine Schulter des Grimmigen im Takt zu zucken und er guckt auch gar nicht mehr so unfreundlich. Als beide Schultern mitwippen frage ich ihn, ob es sich um turkmenische Musik handelt. Aserbaidschanisch, werde ich aufgeklärt. Plötzlich grinst er und das Eis ist gebrochen. Auch der Soldat erwacht, steht auf, wechselt ein paar Worte mit dem Mann am Schreibtisch, nickt mir zu und verlässt den Raum. Ab jetzt geht es schnell. Ein klobiger Kasten wird mir in die Hand gedrückt. Das GPS Gerät, welches unsere Fahrt aufzeichnen soll, so dass überwacht werden kann, ob wir uns auch an die festgelegte Route halten. Das Teil ist allerdings so groß, dass es auf dem Armaturenbrett keinen Platz findet und im Beifahrerfußraum landet, wo der Empfang eher dürftig sein wird.
Fahrzeugkontrolle
Mit dem GPS Gerät in der Hand trete ich zur nächsten Station. Der Soldat, der eben noch auf der Bank geschlafen hatte, sitzt an einem Tisch im Freien, zwei weitere, rangniedrigere links und rechts von ihm. Er kontrolliert meinen Pass und weil ich gewöhnt bin, dazu sagen zu müssen, dass Austria nicht Australia ist, schicke ich diese Erklärung gleich hinterher. Er guckt mich an und meint: „Natürlich weiß ich wo Österreich liegt. Es ist das Geburtsland von Mozart. Ich spiele in einem klassischen Orchester.“
Hier an der Grenze ist er aber für die abschließende Fahrzeugkontrolle verantwortlich. Diese wird dann von seinen beiden Untergebenen durchgeführt. Fahrerhaus und Wohnkabine werden geöffnet, die Staufächer kurz durchgeguckt, es muss aber nichts ausgeräumt werden und nach wenigen Minuten sind wir fertig. Ich darf das Auto auf die Rückseite des Hauptgebäudes fahren und Dagmar wieder mitnehmen, die dort schon seit geraumer Zeit wartet. Zum Schluss wird uns noch eingeschärft, dass die nächsten 30 Kilometer durchgängig videoüberwachtes, militärisches Sperrgebiet sind und wir keinesfalls anhalten oder fotografieren dürfen. Es fällt schwer, sich daran zu halten. Als wir um eine Kehre biegen, leuchtet ganz in weißen Marmor gehüllt Aschgabat unten am Fuß des Gebirges. Ein überwältigender Anblick! Wir halten brav nicht und fahren, wenn auch langsam, konstant weiter. Nach einer letzten Kontrolle sind wir tatsächlich in Turkmenistan angekommen und haben nun fünf Tage Zeit, um es von Süd nach Nord zu durchqueren.
Wiedergewonnene Freiheit in der Diktatur
Wir hätten nicht erwartet, im Zusammenhang mit einer der repressivsten Diktaturen unserer Zeit von Freiheit zu sprechen. Turkmenistan landet zuverlässig auf den hintersten Plätzen der Listen, in denen es um Pressefreiheit oder Menschenrechte geht. Und doch stellt sich genau dieses Gefühl ein, als wir nach der Einreise grüne Gebirgshänge Richtung trockener Wüste und der Hauptstadt Aschgabat hinabrollen. Direkt hinter dem Grenzposten fliegt als allererste Handlung Dagmars Kopftuch in die Ecke. Ein echter Freiheitsgewinn nach sechs Wochen Zwang, den Kopf zu verdecken. Die Frauen in Turkmenistan dürfen sich wieder figurbetont kleiden und hüllen sich nicht in Säcke, die auf gar keinen Fall weibliche Formen erahnen lassen, wie es viele Iranerinnen außerhalb der großen Städte noch tun. Ebenso gibt es kein Alkoholverbot im Land und sogar einen Biergarten in Aschgabat. Diese eigentlich kleinen Dinge genügen schon, dass bei uns für einen kurzen Moment ein Gefühl von höherer Lebensqualität aufkommt.
Architekturspielwiese Aschgabat
Da die Zeit tickt, stürzen wir uns direkt nach unserer Ankunft in Aschgabat ins Sightseeing-Programm. Alles ist enorm weitläufig. Prunk braucht Platz! Riesige Plätze, mächtige Säulen, blendendes Weiß, soweit das Auge reicht und keine Menschen.
Leere Pracht
Die Prachtstraßen sind wie leergefegt. Und gefegt wird tatsächlich viel. Fast die einzigen Menschen, die wir an den Sehenswürdigkeiten entdecken, sind entweder Polizisten und Soldaten oder bis zu 20-köpfige Putztrupps, die jede Ritze zwischen den Marmorplatten peinlich genau säubern. Man kann davon halten was man mag, aber das Herz des Fotografen geht angesichts strenger Linienführung, strikter Symmetrie und maßloser Übertreibung auf. Es ist ein Paradies, obwohl von vielen Gebäuden keine Fotos gemacht werden dürfen. Immer wieder rennen die Uniformierten auf mich zu, wedeln mit den Händen und rufen „no photo, no photo!“.
So zum Beispiel auch am Verfassungsdenkmal. Allerdings wird dieses Mal das Fotografierverbot nicht von einem Soldaten sondern einem Mann im Anzug ausgesprochen, dem es sichtlich unangenehm ist. Vermutlich als Wiedergutmachung bietet er uns einen Tee oder Kaffee in seinem Büro an, welches in einer oberen Ebene des Denkmals liegt. Diese Gelegenheit lassen wir uns nicht entgehen. Eine riesige Eingangshalle begrüßt uns und wir fahren mit dem Fahrstuhl hinauf. Das Vorzimmer seiner Sekretärin würde sich vermutlich manch ein Vorstandsvorsitzender europäischer Firmen wünschen – sein Büro ist annähernd doppelt so groß. Leider ist die Sprachbarriere ziemlich unüberwindbar, so dass wir nur herausbekommen, dass er der „Chef“ dieses Denkmals und des Neutralitätsbogens ist. Und dann – soviel verstehen wir – bietet er uns an, er könne organisieren, dass wir auch das Innere des Neutralitätsbogens besuchen können. Eine gewisse Unsicherheit bleibt, trotzdem machen wir uns direkt nach dem Tee auf dem Weg zum dem Denkmal, ein ursprünglich 75 Meter hoher Turm, der anlässlich der Anerkennung der Neutralität Turkmenistans durch die UN errichtet wurde. Nach der Amtsübernahme durch Gurbanguly Berdimuhamedow wurde der Turm abgebaut und in einer 20 Meter höheren Version weiter außerhalb der Stadt wieder aufgebaut. Die goldene Statue seines Vorgängers ziert weiterhin die Spitze des dreibeinigen Turms, der etwas wie eine Rakete anmutet, aber sie dreht sich nicht mehr dem Lauf der Sonne folgend um die eigene Achse.
Am Monument kommt leider niemand auf uns zu, was wir uns heimlich erhofft hatten. Nach einer Weile fassen wir uns ein Herz und sprechen einen der Soldaten an, die unten am Fuß Wache halten. Inzwischen wissen wir, dass kein Gebäude oder Denkmal fotografiert werden darf, an dem Militär präsent ist. Ist es nicht bewacht, sind Fotos kein Problem. Tatsächlich erlaubt uns der Soldat in einen Aufzug in einem der drei Füße einzusteigen. Kurz darauf kommt jemand, der ihn mit einem Schlüssel in Gang setzt. Oben findet sich ein kleines Museum mit nicht weiter erwähnenswerten Exponaten aber vor allem eine großartige Aussicht, die wir zwar auch nicht hätten fotografieren dürfen, uns aber unbeobachtet genug fühlen, um es dennoch zu probieren. Wir sind damit davongekommen.
Wir rasen weiter auf leeren Straßen durch die Stadt von einem Monument zum nächsten.
Die erste Polizeikontrolle
Nach zwei Nächten in Aschgabat müssen wir weiter, obwohl wir vieles noch nicht gesehen haben. Kurz nachdem wir den nördlichen Stadtrand von Aschgabat erreicht haben, treffen wir auf unsere erste Polizeikontrolle in Turkmenistan. Sehr langsam rollen wir an die Haltelinie, der Polizist, der in ein paar Metern Entfernung gelangweilt am Straßenrand steht, beachtet uns nicht. Langsam rollen wir über die Linie und plötzlich kommt Leben in den Polizisten. Mit einem bunten Plastikknüppel gibt er nun sehr eindeutig zu verstehen, dass wir anhalten sollen. Was folgt ist eine Standpauke, dass wir gefälligst grundsätzlich an einer Polizeikontrolle anzuhalten hätten und erst nach Aufforderung weiterfahren dürften. Dieser Vortrag scheint ihm Spaß zu machen, denn wir treffen später einige Reisende, die sich von ihm genau das Gleiche anhören durften. Ohne Bußgeld können wir weiterfahren und beherzigen von nun an seinen Ratschlag an den Checkpoints, die wir auf unserer Strecke immer wieder passieren.
Das Tor zur Hölle
Unser Ziel, der Derweze oder Darvaza Gaskrater mitten in der Karakum Wüste ist ein gewaltiges, 20 Meter tiefes und 70 Meter breites, brennendes Loch im Boden. Man liest unterschiedliche Versionen der Entstehungsgeschichte. Am schlüssigsten erscheint uns die folgende: 1971 wurde in der Wüste von sowjetischen Geologen nach Erdgasvorkommen gesucht. Bei Bohrungen stießen sie unverhofft auf eine Höhle. Der Boden unter dem Bohrer stürzte ein und Methangas strömte aus. Um die Geruchsbelästigung zu beseitigten, legten die Geologen Feuer. Sie gingen davon aus, dass die gefundenen Reserven schnell abbrennen würden. Heute, 49 Jahre nach diesen Geschehnissen, brennen die Flammen im Krater noch immer mit unverminderter Kraft. Niemand kann sagen, wann ihre Quelle versiegen wird.
In der Vergangenheit wurden mehrere Versuche unternommen, das Feuer zu löschen. Ohne Erfolg. Brennendes Gas, welches an hunderten, wenn nicht tausenden Stellen aus dem Erdreich strömt, dauerhaft zu löschen ist weit komplexer und aufwendiger als man meinen möchte. Die Energie zu nutzen lohnt ebenfalls nicht. Der finanzielle Aufwand ist schlicht zu hoch. Und daher entwickelt sich das Tor
zur Hölle langsam aber sicher zu einer Touristenattraktion. Selbst in einem Land wie Turkmenistan, in dem mit die strengsten Einreisevorschriften weltweit herrschen.
Mitten in der Wüste, nur von Sand und Sternen umgeben, stehen wir sprachlos vor dem leuchtenden, orange-roten Krater. Immer wieder schlagen uns Hitzewellen ins Gesicht, unterbrochen vom kalten Wind aus den Weiten der Karakum. Es faucht und zischt wie von tausend Lagerfeuern. Und übt ein Vielfaches ihrer Faszination aus. Wir sitzen stundenlang auf unseren Campingstühlen am Rand des Kraters und können den Blick nicht von den Flammen wenden. Schade, dass wir nur fünf Tage im Land haben. Ansonsten hätten wir mindestens eine weitere Nacht wie hypnotisiert vor dem brennenden Krater gesessen.
Die letzte Etappe
Was nun kommt ist eine der schlimmsten Straßen, die wir auf der Tour in die Mongolei erlebt haben. Insbesondere die letzten 200 Kilometer bis Konya-Urgench spotten jeder Beschreibung. Vor vielen Jahren mal asphaltiert ist die Decke mittlerweile komplett zerrissen und von tiefen Löchern übersät. An manchen Passagen weiten sich die Fahrspuren auf bis zu 50 Meter Breite aus, weil jeder (vergeblich) versucht, eine weniger durchlöcherte Strecke zu finden. Insbesondere nach dem perfekten Hochglanz von Aschgabat kommen uns diese Verhältnisse wie ein Hohn vor. Ein Prestigeprojekt weniger würde ausreichen, um die Straße wieder in einen guten Zustand zu versetzen. Wir fahren ziemlich langsam und vorsichtig, schließlich haben wir noch eine lange Strecke vor uns, und gegen Ende des Tages erreichen wir unseren letzten Stopp in Turkmenistan, Konya-Urgench.
Bevor wir die Grenze zu Usbekistan überqueren statten wir noch der alten Hauptstadt Choresmiens, Alt-Urgench, einen Besuch ab. Es ist ein weitläufiges Gelände mit diversen Mausoleen und Gebäuden. Am beeindruckendsten finden wir das Tura-Beg-Chanum-Mausoleum aus dem 14. Jahrhundert. Besonders die Kuppel, die den Himmel darstellt, ist faszinierend.
Wenn ihr mehr von Dagmar und Oliver lesen wollt, dann schaut doch mal auf ihrem Blog goneforadrive.com vorbei. Übrigens findet ihr die beiden auch bei Instagram.
© Fotos: Oliver Neumann