Helga und Jürgen waren 20 Monate mit ihrem orangen VW T3 in Asien und Australien unterwegs. 56.000 km sind sie dabei gefahren. Wie sie sich auf die Reise vorbereitet haben, was sie erlebt haben und wie das Heimkommen nach dieser Zeit war, erfahrt ihr in unserem Interview.
Könnt ihr kurz etwas zu euch erzählen?
Wir sind Helga und Jürgen. Seit über 20 Jahren gehen und fahren wir unsere Wege gemeinsam. Helga ist gelernte Bürokauffrau. Vor der Reise war sie im Verkauf von Bio-Lebensmitteln tätig. Jürgen ist gelernter Schreiner. Vor der Reise war er Produktionsleiter in der kunststoffverarbeitenden Industrie.
Wie seid ihr an den Orangetrotter gekommen?
Ursprünglich hat Jürgen den VW-Bus zum Transport seiner Enduro im Jahre 2000 angeschafft. Damals noch als 50-PS-Diesel (was für eine Gurke). Von Weltreise war damals keine Rede.
Bezahlt hat er 1000 D-Mark, also 500 Euro. Dementsprechend war der äußere Eindruck. Inzwischen haben wir einiges investiert: Umgebaut auf Turbo-Diesel und 5-Gang-Getriebe, lackiert und einiges mehr.
Der Spontan-Entschluss zur Weltreise kam dann erst in 2008. Letztendlich waren also nur noch die speziellen Ein- und Umbauten zur Weltreisetauglichkeit zu machen.
Wie seid ihr auf die Idee mit der Weltreise gekommen?
Unser Leben war eingefahren, irgendwie war Stillstand. Es war Zeit für eine Veränderung – eine große Veränderung. Eines Tages stand die Frage im Raum: „Warum steigen wir nicht einfach in unseren VW-Bus und fahren los?“. Diese Idee ließ uns nicht mehr los. Die Vorstellung alles mal für eine Zeit hinter uns zulassen, uns einfach nur treiben zu lassen, war zu verlockend.
Wie habt ihr den Bus ausgebaut?
Unser Orangetrotter erhielt vor der großen Reise diverse Um-, Ein- und Anbauten. Viele davon selbst konstruiert, gebastelt und angebracht.
- Ladeluftkühler zur Leistungssteigerung
- Verstärkte Federn und Dämpfer
- 15 Zoll Räder auf Mangels Felgen (Rostkeulen)
- BF Goodrich All-Terrain Schlauchlos-Reifen 225/15
- Zusätzlicher Ölkühler
- Zusatzscheinwerfer 2x Fern, 2x Nah, die originalen sind Funzeln.
- Getönte Scheibe mit Blaukeil vorne und Spiegel-Tönungsfolie an den Seitenscheiben
- Dachträger aus altem Skiständer für 2 Stück / 20-Liter-Ersatzkanister (Spiritus/Diesel)
- Reserveradhalter und Kofferhalter für Armeekoffer
- Isolierglasscheiben für den Wohnraum
- 80 Watt Peak Solar–Modul in Verbindung mit 80 Ampere/h konventioneller Bordbatterie. In Kambodscha haben wir die Solaranlage auf 160 Watt/Peak aufgerüstet und eine 130 Ampere/h Batterie eingehängt. Jetzt passt’s!
- Waeco CR65 Kompressor-Kühlschrank
- Dometic Vakuum-Toilette VT 2500 chemiefrei und durch ständig anliegendes Vakuum absolut geruchsneutral.
- Außendusche PP-Rohr mit 40-Liter-Fassungsvermögen, wird durch die Sonne erwärmt. Duschkopf dran und Baumarkt Vorhang mit Spinne aufgehängt.
- Sinus-Wechselrichter 12Volt 350 Watt
- Moskitonetz für Schiebetür und Heckklappe
- Hitze-, Kälte- und Sichtschutz Vorhang zum Fond.
- Markise 3 x 3 Meter
- 40 Liter Trinkwassertank mit Katadyn-Filter
- Zusätzlicher Rückfahrscheinwerfer 100 Watt
- Pilotensitze mit Armlehnen für Fahrer und Beifahrer
- und vieles mehr
Wie hat sich der Orangetrotter auf der Reise geschlagen? Hattet ihr Probleme?
Er hat seine Sache sehr gut gemacht! Er war und ist uns ein treuer Begleiter. Mit ihm fühlen wir uns überall zuhause und vermissen nie etwas. Gut, gelegentlich mal den 4WD.
In der Türkei hatten wir ein Problem mit der undichten Einspritzpumpe. Ob wir uns das mit dem Getriebeschaden nur eingebildet hatten, werden wir nie erfahren. Wir haben es sicherheitshalber getauscht, ebenso wie die ESP.
Im Iran dann ein Radlagerschaden und in Tibet ist uns die neue ESP, die wir in der Türkei eingebaut hatten, kaputt gegangen. Irgendwo auf 4000 Meter Höhe mitten im Himalaya hat Jürgen dann bei -16° C die alte Pumpe Instand gesetzt und diese gegen die neue, kaputte ausgetauscht. Die Aktion dauerte fast die ganze Nacht.
Wie habt ihr euch sonst auf die Reise vorbereitet? In wie weit habt ihr die Reise im Voraus geplant?
Das Ziel, Australien war bald klar. Dass wir durch den Iran fahren wollen, auch. Viele interessante Dokumentationen über dieses Land und die konträre Mainstream-Meinung haben uns sehr neugierig darauf gemacht. Daraus ergab sich der weitere Weg.
Visa hatten wir im Vorfeld für Iran, Pakistan und Indien. Alle anderen Visa haben wir immer vor Ort organisiert. Vieles ergab sich auf dem Weg.
Die Wohnung haben wir gekündigt, ebenso die Arbeitsplätze. Wir wollten alle Voraussetzungen schaffen, um die Freiheit zu spüren und keinen fixen Zeitplan zu haben. Grob sind wir von einem Jahr ausgegangen.
Die meiste Arbeit war sicher den Orangetrotter reisetauglich zu machen. Und das gleich zwei Mal. Denn wir hatten nach der ersten Fertigstellung bei einer Probefahrt einen kapitalen Absturz in den Bergen, sind in einen Graben gestürzt und hatten uns überschlagen. Die ganze Arbeit begann von vorne. Eigentlich war es ein Totalschaden aber das wollten wir nicht akzeptieren. Und das war gut so!
Durch den Unfall hatten wir allerdings auch Zeit (am Ende war es ein Jahr) und Gelegenheit mehr Geld auf die Seite zu bringen. Wie sich zum damaligen Zeitpunkt herausstellte, stand unsere Finanzplanung auf eher wackeligen Füßen.
Also hieß es sparen, wo es geht. Was unerwarteter Weise ganz gut funktionierte. Wenn einem klar wird, dass man bald auf nur noch 2,5 qm leben darf, wird einem schnell klar, dass man dazu nicht viel braucht. Schon aus Platzgründen. Und siehe da, auf einmal blieb richtig was übrig.
Wir haben auch versucht so viel wie möglich von unserem Hab und Gut zu verkaufen. Dabei kam auch noch einiges Geld zusammen.
Wie lange habt ihr für die Reise gespart? Wie viel Geld habt ihr im Monat ausgegeben?
Richtig gespart haben wir ca. 1,5 Jahre. Da von der Idee bis zur Umsetzung gar nicht so viel Zeit vergangen ist.
Im Durchschnitt haben wir 2000 Euro gebraucht. Das beinhaltet aber wirklich alle Kosten die während der Reise angefallen sind, einschließlich Verschiffung und Flugkosten.
Wir hatten Monate, in denen wir weit weniger als 1000 Euro gebraucht haben beispielsweise im Iran. 100 Liter Diesel haben uns dort läppische 89 Cent gekostet. Nein, nicht pro Liter. Tatsächlich komplett die 100 Liter. Zudem wurden wir ständig eingeladen. Das lief toll!
Was war das schönste, was ihr auf der Reise erlebt habt?
Die ganze Reise war das Schönste! Die Freiheit und Unabhängigkeit, sein Leben nach den eigenen Vorstellungen und Befindlichkeiten zu leben. Viele neue Erfahrungen, Begegnungen, Entdeckungen. Die Zeit und Muße alles auf sich wirken zu lassen. Der Luxus von Zeit. Voll das LEBEN eben. Nicht, Tag ein Tag aus, den gleichen Tagesablauf zu haben und für die Ziele anderer zu funktionieren, ist eine sehr wertvolle Erfahrung.
Gab es auch Situationen, in denen ihr richtig Angst hattet?
Die gab es, klar. Aber tatsächlich nur sehr wenige. Oft begründet auf Unwissenheit oder der blühenden Phantasie, vor allem bei Helga, sie hatte öfter mit Ängsten zu kämpfen. Am schwersten war hier Pakistan einzuschätzen, wirklich wohl war uns bei dieser Durchfahrt nicht. Ständig eskortiert, doch nie da, wo es eher gefährlich sein könnte, z.B. im afghanischen Grenzgebiet.
Übernachten im Gefängnis und Polizeischutz beim Shoppen sind nicht gerade Vertrauensfördernde Maßnahmen.
Fremde Länder und Kulturen verunsichern natürlich manchmal. Oft erinnert man sich an irgendwelche Geschichten die irgendjemand, irgendwem erzählt hat. Oft bis Meistens sind diese Ängste unbegründet und die Geschichten oft aus dem Märchenbereich begründet.
Doch, wir hatten tatsächlich eine Situation in der es quasi um Leben und Tod ging. Jürgen wurde von drei Bienen gestochen, und erlitt einen schweren allergischen Schock. Innerhalb weniger Minuten bekam er massive Herzschmerzen und Schwellungen. Er hat sein Leben vorbeiziehen sehen und dachte wirklich jetzt ist es vorbei. Zum Glück hatten wir Antihistamin dabei, was das Schlimmste verhindert hat. Unsere Reise stand unter einem guten Stern. Und Glück gehört sicher auch dazu.
Welche Länder haben euch am meisten beeindruckt?
Jedes Land hat seine Reize und hinterlässt besondere Eindrücke.
Letztendlich sind es immer die persönlichen Begegnungen mit den Menschen, besondere Erlebnisse mit Tieren oder Gefühle die Landschaften und Umstände in einem auslösen, die beeindrucken. So gesehen hat uns jedes Land beeindruckt.
Hier legen wir uns ungern fest, und tun uns schwer mit Aussagen wie „am schönsten“ – „am meisten“, „am besten“ – „am gefährlichsten“ – „am schlimmsten“.
Es ist immer die Summe aus allen Erfahrungen die etwas ausmacht. Deshalb sind für uns die ganze Reise und somit alle Länder, das was uns „am meisten“ beeindruckt. Wir können und wollen das gar nicht auf einzelne Länder begrenzen.
Welche Länder würdet ihr anderen Reisenden nicht unbedingt empfehlen?
Das ist eine schwierige Frage. Eigentlich können wir niemandem ein Land nicht empfehlen. Das muss jeder für sich entscheiden. Es kommt doch darauf an was jeder einzelne möchte und was man sich selber zutraut.
Bei Überlandreisen, steht man manchmal vor der Qual der Wahl, welche Route für einen die bessere oder sicherere ist. Manchmal gibt es keine Alternativen und wenn doch, ist die Informationslage oft schlecht. Doch die Entscheidung kann einem niemand abnehmen. Bei möglichen Risiken, ist es nach unserer Erfahrung das Beste, sich mit Leuten kurzzuschließen, die ganz aktuell gerade in diesem Gebiet unterwegs sind oder waren.
Und selbst dann kann es passieren, dass der eine meint: „Alles kein Problem, alles sicher, super Straßen.“ Und ein Andere sagt: „Auf keinen Fall, viel zu gefährlich, die Straßen ohne 4WD unfahrbar“ etc. Genau mit diesen scheinbaren Widersprüchen hatten wir in Tibet zu kämpfen.
Ein Radler aus Malaysia hat uns von besten Bedingungen erzählt, als er ein halbes Jahr zuvor dort unterwegs war. Bei uns im Dezember ein vollkommen anderes Bild. Logisch, die Pisten müssen regelmäßig neu geschoben werden und wir hatten eine Zeit erwischt in der das längst überfällig war. Erdrutsche, Schnee, Glatteis und kein Winterdienst.
Sicherheitslagen und Straßenzustände können sich fast täglich ändern. Da gibt’s kein Patentrezept. Bei Kriegsgebieten fällt die Entscheidung leicht. Aber sogenannte Krisengebiete scheint es heute mehr zu geben als je zuvor. Dann kommen da noch ganz spezielle lokale Risiken und Eigenheiten dazu. Auch da gibt’s kein Patentrezept.
Uns fällt hierzu immer wieder diese Geschichte ein. Bereits in Ungarn ging es los. Die Frage von Einheimischen Freunden: „Wo geht es als nächstes hin?“ „Nach Griechenland.“ „Ohhh, seid vorsichtig, da ist es sehr gefährlich.“
In Griechenland, dann die selbe Frage: „Wo fahrt Ihr jetzt hin?“ „In die Türkei“ „Ohhh, die werden Euch umbringen“. Angekommen in der Türkei kommt die Frage: „Wo kommt ihr her?“ „Aus Griechenland.“ „Was??? Und das habt ihr überlebt?“ So könnten wir die Geschichte für die ganze Reise fortschreiben.
Was habt ihr auf der Reise am meisten vermisst? Was hat euch am meisten genervt?
Wir haben tatsächlich – rein gar nichts vermisst.
Genervt hat alles was mit Bürokratie und Willkür zu tun hatte. Davon gibt’s oft weitaus mehr als wir immer hier in Deutschland beklagen. Technische Probleme am Orangetrotter waren immer Grund für blanke Nerven. Wenn auch meistens genau aus diesen Situationen die originellsten, schönsten und herzlichsten Momente erwachsen sind. Dinge die man so nie planen könnte, und die unsere Reise, für uns, zu so etwas Besonderem gemacht hatten.
Was habt ihr auf der Reise über euch oder über die Menschen gelernt?
Zusammengefasst vielleicht, dass wir Menschen überall auf der Welt uns so viel ähnlicher sind, als wir manchmal glauben. Im Grunde sehnen wir uns doch alle nach dem gleichen. Friede, Freiheit, Liebe, Gesundheit, Sicherheit.
Wir finden es sehr spannend, wie schnell sich sehr viele Vorurteile und Paradigmen in Luft auflösen, wenn man länger, und offen unterwegs ist. Es ist interessant, wie geprägt wir sind, von dem Meinungsbild das uns bereits seit Kindesbeinen, generationsübergreifend eingetrichtert wird. Es gibt nichts Wertvolleres als sich auf fremde Kulturen einzulassen und sich seine eigene Meinung zu bilden. Das ist sehr bereichernd.
Genau das versuchen wir auch heute im Alltag beizubehalten. Stetig zu kontrollieren, was es in uns denkt, und ob das so richtig ist. Ja, das ist anstrengend und manchmal auch schmerzhaft, wenn man feststellt, dass viele Menschen nicht in der Lage oder Willens sind ihre Denkmuster, ab und an, zu überprüfen.
Würdet ihr sagen, dass euch die Reise verändert hat?
Freunde sagen: „Nein habt ihr nicht – Ihr ward schon immer so komisch!“ Aber klar, es verändert sich schon etwas. Diese 20 Monate waren für uns die absolute, gelebte Freiheit und Unabhängigkeit. Nie zuvor, haben wir unser Leben so bewusst und intensiv gelebt. Und das macht süchtig. Wir hinterfragen viel und werden immer klarer in der Vorstellung was wir wollen, und was nicht.
Wie war das Zurückkommen? Habt ihr euch schnell wieder eingewöhnt? Was macht ihr heute?
Es war schön Familie und Freunde wieder zu sehen, aber auch seltsam. Wir saßen am Tisch mit unseren Lieben und hatten das Gefühl gar nicht weggewesen zu sein. Und dabei hatten wir so viel Schönes, Unglaubliches und Aufregendes erlebt.
Wir waren in einer ganz anderen, unserer eigenen Welt, in der sich Dinge rasend entwickelten. Und zuhause? Zuhause, war alles beim Alten.
Wir hatten das Glück, die ersten Monate noch weiter in unserem Orangetrotter leben zu können. Wir standen bei Freunden auf der Gänsewiese und halfen am Hof mit. Wir hatten ein ganz sanftes Zurückkommen. Und trotzdem holte uns der Alltag wieder schnell ein – viel zu schnell.
Das erste Jahr war fast noch ein bisschen wie auf Reisen. Es passierte viel und war spannend. Jürgen arbeitete an unserer Live-Reportage „Augenblicke einer Weltreise“. Und ich am gleichnamigen Buch. Das WDR Fernsehen kam auf uns zu und machte eine tolle Sendung über unser Abenteuer.
Mit unserer Live-Reportage sind wir nun schon seit einigen Jahren on Tour und konnten die tausende Menschen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz damit begeistern. Das tut uns natürlich sehr gut und hat uns jetzt lange, glückshormonmäßig, über dem Wasser gehalten.
Dann kamen irgendwann neue Arbeitsstellen und wieder eine richtige Wohnung, und seither versucht sich der Alltag wieder mit voller Wucht in unser Leben zu bohren. Aber wir werden uns weiterhin wehren.
Wir arbeiten daran, die Weichen völlig neu zu stellen. Wieder mehr in Richtung Unabhängigkeit und Freiheit. Wie wir das erreichen wollen, steht so gut wie fest. Wir finden es sehr spannend und freuen uns riesig darauf. Eure Leser können das auch gerne erfahren, sobald wir unser „coming out“ hatten. Wir freuen uns über jeden der weiterhin unserer Geschichte folgt.
Im August geht es jetzt erst mal für ein paar Wochen nach Albanien, natürlich mit dem Orangetrotter. Mehr über die beiden könnt ihr auf Facebook oder auf ihrer Webseite www.orangetrotter.de lesen. Lest hier die Buchvorstellung von „Augenblicke einer Weltreise“ von Helga und Jürgen.