Oliver Neumanns zweiter Teil über seine Fahrt durch Kirgistan, dem Land für Bergliebhaber. Wie üblich ist sein Bericht wieder mit vielen Eindrücken und Informationen gespickt.
Der erste Teil unseres Artikels über Kirgistan liefert einen kurzen Überblick über die lebhafte politsche Geschichte des Landes seit dem Fall der Sowjetunion. Dabei kommt es zu Schusswechseln, Toten und einer Verhaftung eines früheren Präsidenten. Wer das Land bereisen möchte findet ebenfalls hilfreiche Informationen zum Beispiel zu den Themen Einreisebestimmungen, Fahrzeugversicherung, Dieselqualität und -verfügbarkeit. Nun aber begeben wir uns auf die Reise durch das Land. Die Landschaften, die der Gebirgsstaat zu bieten hat, verzaubern jeden Naturliebhaber.
Besuchte Highlights
Wir sind vom Pamir Highway in Tadschikistan über den Kyzyl-Art-Pass nach Kirgistan eingereist. In Sarytasch (1) konnten wir auftanken und Kirgisische Som besorgen. Der Abstecher in Richtung des Pik Lenin (2) lohnt sich. Die sehr hohen Berge dieser Region bieten eine fantastische Kulisse.
In Osch (3) bleiben die meisten Reisenden etwas länger. Es ist mit knapp 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes und gut geeignet, um die Eindrücke der Fahrt durch das Pamir Gebirge setzen zu lassen und das Fahrzeug nochmals gründlich zu überprüfen. Die riesigen Walnusswälder bei Arslanbob (4) bieten sich für den nächsten Stopp an. Danach lohnt sich die Fahrt nach Kazarman (5), um über kleine, gewundene Bergstraßen zum Songköl (6) zu kommen.
Bischkek ist kein Muss
Die Hauptstadt Bischkek (7) ist nach unserer Meinung kein Muss bei einem Besuch im Land. Zusammen mit Freunden aus Deutschland, die uns zwei Wochen im Mietwagen begleitet haben, ging es nochmals zum Songköl und bei Naryn (8) auf eine wunderschöne Schleife in östlicher Richtung durch die Berge. Bei Punkt 9 zweigt ein Weg zum Tossor (oder Tosor) Pass (10) ab, der eine harte aber traumhafte Offroad-Tour sein soll. Weil die Bodenfreiheit des Suzuki Vitara unserer Freunde nicht ausgereicht hätte, um über die teils sehr hohen Felsabsätze zu kommen, sind wir die Strecke nicht gefahren.
Stattdessen sind wir weiter nordwestlich zum Südufer des Yssykköl gequert. Bei Punkt 11 liegt der kleine Salzsee Solenoye Ozero, dessen Salzgehalt hoch genug ist, um im Wasser nicht unterzugehen. Etwas weiter östlich liegt der Fairytale oder Skazka Canyon (12) mit seinen leuchtend roten, bizarren Sandsteinformationen.
Sehr gegensätzlich dazu wirkt die alpenähnliche Landschaft bei Dscheti Ögüz (englisch Jeti Ögüz) (13). Karakol (14) ist eine perfekte Basis für Touren in die umliegenden Berge, ebenso wie Jyrgalan (15), von wo aus viele Wanderungen zu Fuß oder Pferd unternommen werden können.
Ausreise aus Tadschikistan am Kyzyl-Art-Pass
Der Grenzübergang von Tadschikistan nach Kirgistan, dem Land für Bergliebhaber, auf dem 4.250 Meter hohen Kyzyl-Art-Pass ist einer der höchsten der Welt. Und außerdem bekannt dafür, dass hier gerne irgendwelche Fantasiegebühren wie Straßensteuer, Grenzsteuer oder Fahrradimportsteuer erhoben werden. Und das nicht nur bei der Einreise. Wir sind gespannt, wie es uns ergehen wird.
Die letzte Nacht in Tadschikistan verbringen wir an einem wunderschönen Platz am Karakul. Am nächsten Morgen herrscht strahlender Sonnenschein und wir machen uns auf den Weg zur Grenze. Die Straße besteht aus Wellblech und Schlaglöchern. Also lassen wir es langsam angehen, genießen die letzten Blicke auf den See und das Pamirgebirge. Am Ufer grasen Yakherden. Es fällt uns schwer, diese Traumgegend zu verlassen.
Die Grenze
Langsam aber beständig legen wir die letzten Kilometer zur Grenze zurück. Die Straße wird zusehends löchriger. Einige Höhenmeter geht es noch bergauf, dann sehen wir die ersten Baracken. Ein paar verlassene, heruntergekommene Container mit leeren Fensteröffnungen stehen neben dem Weg. Die Sonne lässt die fleckigen Schneereste schmelzen, es ist schlammig, Schutt liegt herum. Niemand ist zu sehen, also fahren wir vorsichtig weiter und näheren uns den nächsten Gebäuden. Auch hier sieht es verlassen aus. Um sicher zu sein, halten wir an und sehen zu Fuß nach. Keine Menschenseele, also weiter. Nach einer weiteren Kurve, sehen wir einen Schlagbaum. Rechts dahinter steht ein gemauertes langgestrecktes Häuschen mit einer metallenen Eingangstür. Als wir an die Schranke vorfahren wird die Tür geöffnet und ein Grenzbeamter im Flecktarn winkt uns zu sich.
Er nimmt unsere Papiere entgegen und studiert lange die Verlängerung der temporären Importerlaubnis für unser Fahrzeug, die wir in Chorugh besorgt haben. Obwohl wir im Eingang warten spüren wir die brüllende Hitze des Bollerofens in dem kleinen Zimmer. An der Rückwand stehen diverse elektrische Geräte. Durch die offene Tür können wir im dahinter liegenden Zimmer Stockbetten erkennen. Der Dienst an diesem einsamen Posten hoch in den Bergen ist sicherlich kein Vergnügen. Wird man hierher strafversetzt, wenn man etwas angestellt hat oder ober muss jeder mal ran? Wir wissen es nicht.
Desinfektionsgebühr
Nach einer gefühlten Ewigkeit lächelt der Soldat, reicht uns die gestempelten Pässe und drückt uns zusätzlich zwei Schokoladenpralinen in die Hand. Draußen vor der Tür deutet er auf ein weiteres Gebäude, welches am Hang auf der anderen Straßenseite liegt. Dort steht bereits ein Uniformierter und wedelt mit einem Zettel. „Come here!“, ruft er.
Schon vor einer Weile hatten uns andere Reisende erzählt, dass sich insbesondere ein Beamter an der Grenze hervortut bei dem Versuch, eine Desinfektionsgebühr zu kassieren. Das muss er also sein, nachdem uns sein Kollege so nett mit Pralinen beschenkt hat. Dieser ist mittlerweile auch schon wieder im Inneren seines Häuschens verschwunden. „Come here!“, schallt es erneut von oben. Ich winke ab und rufe hoch: „No! Please open the gate.“
Er kommt herunter und deutet auf seinen Zettel. Ich höre tatsächlich irgendetwas von „desinfection“ und schüttle wieder den Kopf: „No, not necessary!“ Währenddessen geht Dagmar zum Haus des netten Beamten und klopft an die Tür. Er kommt wieder heraus. Wir sehen ihm an, dass ihm die Situation unangenehm ist. Nachdem er ein paar Worte mit seinem Kollegen gewechselt hat, flüchtet er schnell wieder ins Innere. Ich bekomme den Zettel nochmals unter die Nase gehalten. Als ich mich wieder weigere, ihn zu entgegenzunehmen, gibt der Grenzer überraschend auf. Sichtlich verärgert geht er zur Schranke und öffnet sie. Wir springen ins Auto. Schnell weg hier, bevor er sich es anders überlegt.
Im Niemandsland
Hinter dem Grenzübergang folgt ein kilometerlanges Niemandsland, für das sich keiner verantwortlich fühlt. Entsprechend wird die Straße noch etwas schlechter, während es in steilen Kehren kontinuierlich bergab geht. Wir passieren ein Gebäude, welches mit einem Schild als Homestay für sich wirbt. Keine schöne Vorstellung, dort zu übernachten, aber wahrscheinlich haben manche Radfahrer angesichts des gewaltigen Anstiegs keine andere Wahl.
Einreise nach Kirgistan
Nach einigen Kilometern erreichen wir den Schlagbaum des kirgisischen Grenzpostens. Zwei weitere Overlander sind vor uns angekommen und befinden sich innerhalb des abgegrenzten Areals. Wir müssen draußen warten, bis sie ihre Passformalitäten erledigt haben. Dann dürfen auch wir hineinfahren. Direkt hinter uns schließt sich die Schranke wieder. Im Gegensatz zum tadschikischen Posten wirkt alles so, wie wir Grenzen gewohnt sind. Die Gebäude sind in ordentlichem Zustand, in den Büros stehen Computer.
Da wir ohne Visum nach Kirgistan einreisen dürfen, ist der erste Teil schnell erledigt und wir bekommen die Stempel in unsere Pässe. Der Zöllner, der für den Import und die Kontrolle der Fahrzeuge verantwortlich ist, kann überraschend gut Englisch. Er ist nicht der freundlichste, lächelt nicht und schlägt einen befehlsgewohnten Ton an. In sein Büro, welches gegenüber der Passkontrolle liegt, dürfen wir nur einzeln eintreten. Aber es läuft alles absolut korrekt. Er möchte kein Geld haben und stellt unsere Importerlaubnis für die Eurasische Wirtschaftsunion direkt mit einer Gültigkeit von zwölf Monaten aus. Nach einer kurzen Fahrzeugkontrolle dürfen wir weiterfahren und sind in Kirgistan angekommen.
Sarytasch
Die Tankstelle in Sarytasch ist ein wichtiger Stopp nach dem Pamir Highway. Hier wird wieder Diesel von ordentlicher Qualität verkauft. In den Sommermonaten, wenn alle Overlander mit großen Tanks an ihren Fahrzeugen vorbeikommen, ist sie sicherlich eine Goldgrube. Der Rest des Dorfes ist keiner großen Erwähnung wert. Nachdem wir erfolgreich Bargeld am Automaten erhalten haben, machen wir uns sofort auf den Weg zum Camp in der Nähe des Pik Lenin.
Pik Lenin
Der Gipfel ist ein bei Bergsteigern beliebtes Ziel, da er als verhältnismäßig einfach zu besteigender Siebentausender gilt. Mit dem Fahrzeug kommt man mit ordentlicher Bodenfreiheit bei guten Wetterbedingungen bis zum Basislager. Ende Mai 2019, als wir dort waren, verschwand der Weg kurz hinter einem Jurtencamp unter unüberwindbaren Schneemassen und wir blieben die Nacht über an einem schönen von sanft geschwungenen Hügeln umgebenen Weiher. Im Hintergrund erheben sich die Bergmassive.
Osch
Bis nach Osch sind es nur knapp über 200 Kilometer. Der Weg führt weiter über sehr schöne Gebirgsstraßen. Die Asphaltqualität ist exzellent und nach dem Pamir Highway freuen wir uns, mal wieder richtig rollen zu können, ohne mit höchster Konzentration die Straße nach dem nächsten Schlagloch absuchen zu müssen. Allerdings haben wir die Rechnung ohne die Viehhirten gemacht. Alle paar Kilometer müssen wir riesige Tierherden passieren lassen. Es ist alles dabei, Schafe, Ziegen, Kühe, Pferde.
Nach einigen Stunden erreichen wir schließlich doch noch Osch und quartieren uns im Apple Hostel ein. Dort können wir im Innenhof parken und im Auto übernachten.
Auch wenn der Pamir Highway der Höhepunkt unserer Tour war, genießen wir jetzt die Tage in der Stadt. Es tut gut, nichts zu tun, essen zu gehen und sich eine Zeit lang zu entspannen. Zuvor kümmern wir uns um die Autopflege. Die Schafpolitur kam zu früh, erst einmal muss noch ordentlich Schmutz runter.
Außerdem werden Öl und Ölfilter gewechselt und das Fahrwerk geprüft. Zum Glück tauchen keine Blessuren auf und wir können uns guten Gewissens auf den weiteren Weg machen.
Die Walnusswälder von Arslanbob
Nach einer Woche Ruhepause in Osch, fühlen wir uns bereit, das Land weiter zu erkunden. Arslanbob ist nicht weit entfernt. Das Dorf liegt im Herzen eines Walnusswaldes riesiger Ausmaße. Leider ist er durch Land-, Vieh- und Holzwirtschaft bedroht, was für die lokale Bevölkerung zu einem Problem werden könnte. Viele Familien sind auf den Zusatzverdienst durch die Ernte angewiesen. Im Jahr 2016 wurden 1.200 Tonnen Walnüsse mit einem Marktwert von etwa zwei Millionen US Dollar aus Kirgistan exportiert. Jeden Herbst kampieren rund 10.000 Kirgisen für einige Wochen im Wald um die Ernte einzubringen. Ein Besuch zu dieser Zeit ist sicherlich besonders lohnenswert. Wir sind zu früh dran, es ist Juni und es regnet in Strömen.
Da es nicht so aussieht, als würde es bald aufhören, machen wir uns dennoch auf eine kleine Wanderung durch die Wälder. Und verpassen prompt eine Abzweigung, die uns auf einen Rundweg zurück ins Dorf hätte führen sollen. So landen wir an einem steilen, schlammigen Abhang weit oberhalb des Dorfes. Immerhin, der Himmel reißt kurz auf und der Ausblick entschädigt.
Wir haben keine Lust, alles zurückzulaufen und entscheiden uns für den kürzesten Weg. Der sich allerdings als recht unangenehm erweist. Wir schlittern und rutschen durch den Schlamm den Berg hinab. Immerhin, der bald wieder einsetzende Regen wäscht uns wieder sauber und komplett durchnässt sind wir eh schon.
Von Kazarman zum Songköl
Nachdem uns andere Reisende den Tipp gegeben haben, fahren wir von Arslanbob zurück nach Dschalal-Abad und anschließend nach Kazarman. Hinter dem kleinen Dorf geht es über gewundene Sträßchen hinauf ins Gebirge und und ebenso kurvig wieder hinab zum See.
In Bischkek
Es wird Zeit, nach Bischkek zu fahren. Wir haben eine Verabredung mit Astrid und Thomas, Freunde von uns, die aus Deutschland in die Hauptstadt fliegen und sich dort einen Mietwagen nehmen, um zwei Wochen mit uns durch Kirgistan zu reisen. Eigentlich sind die beiden passionierte Motorradfahrer. Wir hatten uns 2010 in Kolumbien kennengelernt, als sie mit ihrem Motorradgespann von Süd- nach Nordamerika unterwegs waren. Wir reisten mit dem Rucksack und wollten wie sie nach Panama. Begegnet sind wir uns auf dem Katamaran “Fritz the Cat”, mit dem wir die karibische See in fünf Tagen durchquerten. Die Zeit an Bord und anschließende gemeinsame Tage in Panama haben eine wunderbare Freundschaft entstehen lassen. Umso mehr freuen wir uns auf die Fahrt mit ihnen durch Kirgistan.
Der Autobasar in Bischkek
Doch zuvor lassen wir nochmals unsere Reifen vorne und hinten tauschen und bei dieser Gelegenheit auch auswuchten. Nach schlechten Erfahrungen in der Türkei, wo die Unwucht nach dem Wuchten erheblich schlimmer war und das Lenkrad entsprechend flatterte, sind wir ein wenig misstrauisch.
Knast und Ufos
Es ist heiß und die Sonne sticht aus einem strahlend blauen Himmel, während wir neben dem Auto warten. Staub hängt in der Luft. Ständig rangieren Fahrzeuge zwischen den dicht gestellten Containern, in denen die Händler untergebracht sind. Davor türmen sich die Reifenstapel.
Viele der Männer haben ihre T-Shirts über teils kapitale Bier- (oder hier vielleicht eher Vodka-) Bäuche hochgezogen. Ein besonders mächtiges Exemplar ganz ohne Oberbekleidung entdeckt uns und steuert sofort auf mich zu. Er spricht mich in fließendem Deutsch an: „Hey, was macht ihr denn hier?“ „Wir sind auf einer Reise durch Zentralasien in die Mongolei“, erkläre ich ihm. Er nickt: „Ich bin gerade auf Freigang. Nach einem Verkehrsunfall sitze ich einige Jahre in Kirgistan im Gefängnis. Die Hälfte habe ich schon, aber mir fehlt meine Familie in Deutschland. Ich bin Russe und war als LKW Fahrer unterwegs, als es passiert ist.“ Zum Glück verabschiedet er sich sofort wieder: „Also, ich muss los. Gute Reise.“ So kann ich ihm wenigstens noch alles Gute wünschen. Sonst hätte ich wohl nie eine passende Antwort gefunden.
Nur wenige Minuten später tritt ein junger Kirgise neben mich. Er zückt sein Handy. Die folgende Unterhaltung findet vollständig per Google Translate auf Englisch und Russisch statt. Wir tippen:
„Woher kommst du?“, fragt er mich.
„Deutschland. Und du?“
„Bischkek. Ich muss dir etwas zeigen. Aber du darfst es niemanden verraten.“
„Alles klar, bei mir ist es in besten Händen.“
Er wirft mir einen verschwörerischen Blick zu. „Wirklich, wir sind in großer Gefahr, wenn das rauskommt.“
„Verstehe, du kannst mir vertrauen.“
„Okay, pass auf: ich habe ein Ufo gesehen und ich habe Beweise.“
„Ach was, im Ernst?“
„Ja! Ich zeige dir das Foto, aber das muss unbedingt unter uns bleiben, verstehst du?“
„Natürlich, nicht auszudenken, wenn das herauskäme.“
„Ich habe Angst um mein Leben. Also, sieh her.“
Er hält mir sein Telefon hin. Ein vollkommen unscharfes Bild ist zu sehen, keine Ahnung, was es darstellt. Ich bin enttäuscht, ich kann kein Ufo erkennen.
„Krass!“, heuchle ich.
„Ja, siehst du jetzt, warum wir so aufpassen müssen? Gib mir deine Telefonnummer, dann schicke ich dir das Foto.“
„Okay, das machen wir.“ Ich gebe ihm unsere kirgisische Mobilnummer und höre nie wieder etwas von ihm.
Mittlerweile ist das Auto fertig, die Zeit verging wie im Flug. So gut wurde ich selten in einer Werkstatt unterhalten. Als wir Bischkek verlassen, zeigt sich, dass unser Misstrauen unangebracht war. Die Jungs haben sehr ordentlich gewuchtet und und der Wagen läuft so ruhig wie lange nicht mehr.
Am Südufer des Songköl
Obwohl wir die Strecke auf unserem Weg nach Bischkek schon gefahren waren, möchten wir Astrid und Thomas das Südufer des Songköl nicht vorenthalten. Der See, der nur über unbefestigte Straßen erreicht werden kann, liegt auf einer Höhe von rund 3.000 Metern. Die Landschaft ist geprägt von den mächtigen Bergen, die ihn umgeben. An seinen Ufern grasen Pferde, Schafe und Ziegen, alle paar Kilometer stehen die Jurten der Einheimischen. Es ist eine Postkartenidylle, die mittlerweile stark vom Tourismus abhängt. Viele der Tierhalter errichten Jurtencamps, in denen sie in den Sommermonaten Touristen beherbergen und verköstigen.
Noch reizvoller wird es am südöstlichen Ende des Sees, wo die Straße in zahllosen 180 Grad Kehren in das Tal hinabführt.
Unten angekommen führt der Weg gerade durch die Schneise zwischen den Bergen und auf der gegenüberliegenden Seite wieder auf den nächsten Pass.
Bei Naryn in die Berge Richtung Tossor Pass
Auf Anraten des Autovermieters von Astrid und Thomas versuchen wir nicht, den Tossor Pass zu fahren. Er meint, unser Ford Ranger könne die Strecke zwar bewältigen, aber der geliehene Suzuki Vitara wäre nicht hoch genug. Dennoch fahren wir wenigstens in die Richtung. Ab Naryn zweigt eine Piste in die Berge ab, die in einer Schleife nach Norden wieder zurück zur Landstraße führt. Auch ohne den Tossor Pass ist die Tour sehenswert.
Am Südufer des Yssykköl
Als wir zum Südufer des Yssykköl queren verändert sich die Landschaft. Es wird trockener, weniger grün, Sand, Fels und karger Bewuchs bestimmen das Bild. Es herrschen deutlich höhere Temperaturen als am Songköl. Immerhin befinden wir uns 1.400 Meter tiefer auf 1.600 Meter Höhe über dem Meeresspiegel. Der See ist riesig. Mit 6.236 km² Fläche ist er mehr als doppelt so groß wie Luxemburg. Nur der Titicacasee gilt als größerer Gebirgssee. Im Vergleich dazu, der Bodensee bedeckt eine Fläche von 536 km².
Im Gegensatz zum Nordufer, welches in den heißen Sommermonaten von Touristen dominiert wird, ist das Südufer des Sees nur spärlich besucht. Alle paar Kilometer liegen Ortschaften, die touristisch nicht viel zu bieten haben. Gut für uns, denn so ist es sehr einfach, wunderbare, einsame Stellplätze am See zu finden, an denen tagelang kein Mensch vorbeikommt.
Der Fairytale Canyon
Weiter östlich unweit des Sees liegt eine weitere Besonderheit, die wir nach all den alpin anmutenden Berglandschaften nicht erwartet hätten. Die rot-orangen bizarren Sandsteinformationen des Fairytale Canyon sind eine echte Überraschung und erinnern uns an manche Gegenden der Atacama Wüste im nördlichen Chile.
Auf Kirgisisch heißt der Canyon Kazka, was Märchen bedeutet. Und so fühlen wir uns auch, als wir durch die Schluchten wandern. Immer wieder entdecken wir neue faszinierende Formen und Farbschattierungen. Auf dem Weg zum Canyon muss an einer Schranke ein kleines Eintrittsgeld entrichtet werden. Natürlich finden sich hier mehr Touristen als am einsamen Südufer des Sees. Dennoch sind wir kurz nach der einsetzenden Dämmerung alleine und entscheiden, die Nacht über in dem abgesperrten Bereich zu verbringen. Niemand stört sich an uns und wir haben den märchenhaften Ort für uns alleine.
Kirgistan, Land für Bergliebhaber – Die Seven Bulls und Dscheti Ögüz
Immer weiter Richtung Osten bewegen wir uns. Bei Kysyl-Suu biegen wir nach Süden ab, um tiefer in die Berge hineinzufahren. Nach etwa zehn Kilometern erreichen wir den Kurort Dscheti Ögüz. Hier trifft maroder Sowjet-Charme auf Alpenidylle und Ausläufer der Sandsteinformationen, die wir schon vom Fairytale Canyon kennen. Am Dorfeingang führt die Straße an einer Seven Bulls genannten Felsenkette vorbei.
Direkt hinter dem Dorf liegt eine äußerst beliebte Ausflugsgegend in den Bergen. Wir fahren an einem Wochenende die Strecke schon fast im Konvoi mit einheimischen Urlaubern. Überall stehen Autos, Zelte und Jurten. Von Sandsteinen keine Spur mehr.
Alpenidyll bei Dscheti Ögüz
Karakol
Noch weiter östlich liegt Karakol, mit fast 70.000 Einwohnern ein wichtiges Zentrum in der Region. Schon zu Zeiten der alten Seidenstraße entwickelte sich hier ein Handelsplatz, weil die Stadt strategisch günstig an einem der Pässe über das Tienschan-Gebirge liegt. Sie bietet sich als Ausgangspunkt für Wanderungen und Bergexpeditionen an.
Die Atmosphäre in der Stadt ist entspannt und es finden sich ein paar Sehenswürdigkeiten. Die für uns bemerkenswerteste ist die aus Holz erbaute russisch-orthodoxe Kirche aus dem Jahr 1895.
Kalte Suppe
Durch die Nähe zu China – die Grenze ist nur noch 150 Kilometer entfernt – ließ sich in Karakol im ausgehenden 19. Jahrhundert eine chinesische Minderheit nieder. Die muslimisch-gläubigen Dunganen flohen vor religiöser Verfolgung aus ihrer Heimat und fanden hier ein neues Zuhause. Neben einer vollständig aus Holz erbauten Moschee ist eine ungewöhnliche Nudelsuppe das deutlichste Zeichen ihres Einflusses auf die Stadt. In der Nähe des zentralen Marktes finden sich Restaurants, die sie anbieten. Aschlan-Fu ist eine kalte, würzige Brühe auf Essigbasis. Üblicherweise wird sie mit zwei Nudelsorten serviert, Weizen- und Reisnudeln, und mit Kräutern, Chili und Knoblauch gewürzt. Es lohnt sich, die Suppe bei einem Besuch in der Stadt zu probieren.
Jyrgalan
Unser letzter Stopp in Kirgistan ist das Dörfchen Jyrgalan. Seit einigen Jahren findet dort ein touristisches Entwicklungsprogramm statt, um der ehemaligen Minenstadt neue Perspektiven zu erschließen. Daher gibt es trotz der abgeschiedenen Lage diverse Unterkünfte und Homestays als Ausgangsbasis für Unternehmungen in der traumhaften Gegend.
Und weil ein Aufenthalt in Kirgistan ohne auf dem Rücken eines Pferdes gesessen zu haben, undenkbar ist, lädt uns Thomas auf einen Tagesausflug ein. Unsere letzten Erfahrungen mit Reiten fanden auf Ponyrücken auf den Jahrmärkten unserer Kindheit statt. Wenn wir an den Tag in Jyrgalan zurückdenken, tut uns noch heute alles weh, aber es war ein wunderbares Erlebnis in einer fantastischen Umgebung.
Abschied
Nachdem wir nun den östlichsten Punkt unserer Reise durch Kirgistan, ein Paradies für Bergliebhaber, erreicht haben, wird es Zeit, Abschied von Astrid und Thomas zu nehmen. Sie führt der Weg am Nordufer des Yssykköl zurück nach Bischkek und wir setzen unsere Reise nach Kasachstan fort.
Mehr vom Autor
Wenn ihr mehr von Dagmar und Oliver lesen wollt, dann schaut doch mal auf ihrem Blog goneforadrive.com vorbei. Übrigens findet ihr die beiden auch bei Instagram.
© Fotos: Oliver Neumann