Als ich vor vielen Monaten den Auftrag für diesen Artikel angenommen habe, ging ich davon aus, dass ich nach unserer Heimkehr nach einer Langzeitreise im Handumdrehen einen Text finalisieren und mir sofort ein paar gute Tipps und Ratschläge für alle Heimkehrer einfallen würden. Inmitten der letzten Monate unserer fast zweijährigen Reise glaubte ich quasi schon zu wissen, wie es sein würde nach Hause zurückzukehren. Ich habe mich wohl selten so getäuscht…
Jetzt – nach zehn alles andere als leichten Monaten zurück in Deutschland – fühle ich mich so langsam der Aufgabe gewachsen, unsere Gefühlslage nach der Rückkehr und unsere Strategien zur Wiedereingliederung ein wenig zu beschreiben. Vielleicht finden inzwischen auch andere Rückkehrer den einen oder Tipp in meinen Zeilen oder erkennen zumindest einzelne Themen wieder. Das hat uns in all der Zeit definitiv geholfen: zu wissen, dass andere Leute mit den gleichen oder ähnlichen Themen zu kämpfen haben wie wir.
Die letzten Wochen auf Reisen
Aber zunächst versetze ich mich noch einmal zurück in die letzten Wochen unserer Reise. Wir waren irgendwo in Kanada unterwegs und die Rückkehr rückte nach und nach näher. Wir hatten großen Respekt vor dem Schritt, waren aber auch voller Vorfreude und Tatendrang. Wir haben uns aus freien Stücken entschieden, unsere Reise nach rund 23 Monaten zu beenden. Wir hatten genug erlebt, gesehen, erst mal genug von dem kompromissbehafteten Nomadendasein und freuten uns auf die Realisierung all unserer Vorhaben und Ideen in der Heimat. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, in unsere norddeutsche Heimat zurückzukehren und gegen ein Leben in einem der bereisten Länder oder dauerhaft im Reisemobil. Uns ist unterwegs so ziemlich jedes Lebensmodell begegnet und hat unseren Horizont in dieser Hinsicht extrem erweitert. Die Berichte anderer Heimkehrer machten uns zwar keinen großen Mut, aber mit großem Optimismus gingen wir davon aus, dass bei uns schon alles gut werden wird. Schließlich sind wir ja auch vor der Reise vor nichts davon gelaufen – so wie einige andere Reisende, die wir unterwegs kennengelernt haben.
Kulturschock Deutschland
Bereits in den letzten Tagen vor dem Heimflug prasselten plötzlich wieder ganz alltägliche, deutsche Themen auf uns ein. Der Zähler-Ableser kündigte sich an und mitten in Kanada trug ich mir pflichtschuldig diesen Termin in den Kalender ein. Wann hatte ich da eigentlich zuletzt etwas eingetragen? Wir haben zwei Jahre quasi ohne Kalender gelebt, von wenigen Fährpassagen und Flügen mal abgesehen. Wir waren jeden Tag frei und konnten nach Lust und Laune entscheiden, was wir machen oder eben nicht, wo wir länger bleiben und mit wem wir unsere Zeit verbringen wollen. Dabei hatten wir zwar nicht täglich einen weißen Sandstrand als Option und waren teilweise auch harschen Bedingungen alternativlos ausgeliefert. Aber es lag letztlich immer an uns, was wir aus der Situation machen und uns wurde nichts von außen diktiert.
Die heimischen Gardinen
Meine Mutter, die vor unserer Rückkehr netterweise nach dem Rechten in unserer fast zwei Jahre untervermieteten Wohnung sah, gab kurz vor unserer Rückreise Entwarnung. Es sei alles soweit in Ordnung, größere Renovierungsarbeiten seien nicht erforderlich. Sie wies mich allerdings darauf hin, dass ich möglichst zeitnah nach unserer Rückkehr mal die Gardinen in die Reinigung bringen müsste, die hätten inzwischen doch einen ziemlichen Grauschleier. „Wie bitte?“ Wir lieben zwar Ordnung und Sauberkeit (das hat sich auch unterwegs nicht wirklich geändert), aber die heimischen Gardinen genossen nun wirklich keine hohe Priorität auf unserer To-Do-Liste. Ich dachte nur „Willkommen zurück in Deutschland“ oder „mit staubigen Gardinen im Land Rover lebt es sich auch ziemlich gut“. Vielleicht sogar glücklicher und wahrscheinlich vor allem entspannter. Wir begannen schon zu dem Zeitpunkt plötzlich die Distanz der letzten zwei Jahre zu den alltäglichen Banalitäten zu schätzen, die teilweise ganz schön einengen können.
Dennoch stiegen wir recht unerschrocken in den Flieger, der uns von Vancouver wieder nach Deutschland katapultierte. Nach ein paar Stunden waren wir wieder zurück in Hamburg und die Wiedersehensfreude mit Familie und Freunden war erst mal riesig. Relativ schnell standen wir dann aber ziemlich orientierungslos in unserer altbekannten Umgebung und wussten nicht mehr wie uns geschieht. Wir fühlten uns wie im falschen Film und mit allem ziemlich überfordert. Wir kannten alles, die Umgebung, die Menschen, wir wussten wie das Leben in Deutschland läuft, wir hatten aber irgendwie aufgehört mitzulaufen. Wir fühlten uns wie Fremde in unserem alten Leben, wir fühlten uns teilweise, als würden wir unser altes Leben nur spielen. Es ist schwer, in Worte zu fassen, wie es uns ergangen ist. Irgendwie haben wir versucht, wieder hinein zu passen in den Takt unserer Gesellschaft, haben erfolglos versucht, uns in das alte Leben zu pressen, das sich aber in Teilen völlig falsch anfühlte. Wie kann man bloß so aus seinem alten Leben heraus wachsen? Schließlich sind wir ganz intensiv auf die Suche nach einem Weg für uns gegangen, der ebenso zu unserer alten Umgebung passt wie zu unseren neuen Bedürfnissen.
Prioritäten ändern sich
Während der Beginn einer Reise sanft verläuft und wie ein harmloser Urlaub beginnt, der immer länger wird und irgendwann in einen Reisealltag und eine Routine mündet, ist man bei der Rückkehr von einem Moment auf den anderen zurück geworfen in ein plötzlich fremd erscheinendes Leben. Den Menschen, die uns zwei Jahre nicht gesehen haben und die nur sporadisch mal das eine oder andere tolle Reisefoto bewundert haben, war unsere Gefühlslage und unsere persönliche Entwicklung nur schwer zu vermitteln. Es gab durchaus das eine oder andere Treffen mit Leuten, die uns früher nahe standen, mit denen wir uns inzwischen aber nur noch wenig zu erzählen hatten. Das sind häufig Leute, die so unreflektiert in ihrem Trott stecken, dass wenig Raum für echten Austausch bleibt.
Wir konnten teilweise gar nicht fassen, wie Manche durch ihr Leben hetzen und kaum noch wissen, wofür sie all das eigentlich tun. Zeit hat für uns unterwegs einfach eine andere Bedeutung gewonnen. Die Alltags-Agenda, der sich viele Menschen unterwerfen, die keine Sekunde mehr für sich selber haben und denen die Muße für jegliche Aktivitäten fehlt, empfanden wir plötzlich als beängstigend. Sie werden geradezu zermahlen zwischen (vermeintlichen) Verpflichtungen. Gleichen den stressigen Job mit einem irgendwann ebenso stressigen Privatleben aus. Waren wir auch so? Eindeutig „Ja“. Werden wir wieder so sein? „Hoffentlich nicht!“ Aber das ist ein hartes Stück Arbeit, wenn statt der Meeresbrise wieder die Abgase ins Schlafzimmer dringen und statt Wellenrauschen, gehetzte Großstadtmenschen lautstark am Fenster vorbei rasen. Relativ zügig setzte sich unser soziales Umfeld neu zusammen. Beziehungen wurden intensiver oder entfernten sich eben. Eine völlig normale Entwicklung im Zeitverlauf, bei uns kam sie durch die lange Abwesenheit nur recht plötzlich.
Die Stadt ist kein Lebensraum mehr
Die größte und offensichtlichste Veränderung war unsere Verwandlung von Großstadtmenschen in Landeier. Nach zwei Jahren des fast ausschließlichen Lebens im Freien konnten wir uns schon unterwegs nur noch schwer mit Städten anfreunden. Diese wurden für uns selten mehr als ein Versorgungsstopp. Obwohl Hamburg sehr viel entspannter ist als die meisten lateinamerikanischen Städte, waren auch hier der Lärm, das Alltags-Tempo, die vielen Menschen, der Verkehr, die damit einhergehenden Konflikte und die Abwesenheit jeglicher Wildnis eine große Herausforderung für uns. Wir waren zudem schlicht überfordert mit dem Überangebot an wirklich allem.
Wir hatten einige Pläne, ein neues Fahrrad musste ebenso her wie ein neues Bett. Aber wo fängt man an, bei den schier unerschöpflichen Optionen und Angeboten? Unterwegs waren wir glücklich, wenn wir den einen Laden gefunden haben, in dem es das benötigte Teil gab. Rückblickend war das herrlich entspannend. Die viel gepriesenen Möglichkeiten der Großstadt waren für uns inzwischen nicht mehr als ein Stressfaktor, der dazu führte, dass wir am Ende gar nichts mehr kauften. Anstatt dessen sortierten wir noch mal kräftig aus und befreiten uns von viel materiellem Ballast, der noch immer in den Schränken unserer Wohnung schlummerte. Weniger ist mehr – das passt inzwischen auf viele Bereiche unseres Lebens.
Unwichtiges durch Leben ersetzen
Der erste Schritt zu einem freieren Leben mit mehr Zeit in der Natur war die Anschaffung eines Hundes. Ein Lebenstraum, den wir aufgrund unserer Jobs bisher immer hinten angestellt hatten. Nun hatten wir beschlossen, unser Leben so umzugestalten, dass ein vierbeiniger Begleiter darin Platz findet. Nur wenige Wochen nach unserer Landung kam Hündin Linda in unser Leben und bereicherte uns sehr. Sie führte uns aber auch umso mehr vor Augen, wie hektisch und leider auch dreckig die Stadt ist. Da uns ohnehin eine große Sehnsucht nach Natur, Einsamkeit und Ruhe erfüllte, nutzten wir jede Gelegenheit, um unsere norddeutsche Heimat wieder neu zu erkunden. Wir lernten neue Ecken kennen und alte wieder zu schätzen.
Neue Aufgaben helfen, wenn es die eigenen sind
Als erklärte Küstenkinder wussten wir schnell, dass wir in der Nähe der Küste den Großteil unserer Zeit verbringen wollen. Wir begaben uns auf die Suche nach einem Häuschen mit viel Grün drum herum, mit etwas Freiraum, der uns wieder ein gewisses Gefühl von Freiheit bietet. Nicht zuletzt, brauchten wir dringend ein neues Projekt. Etwas, das unseren Alltag bereichert und erfüllt, uns fordert und das uns eine Vision entwickeln lässt. Die Reise plus die Vorbereitungen hatten uns immerhin die letzten rund 3,5 Jahre gut beschäftigt. Diese Lücke musste dringend gefüllt werden.
In der Nähe der Ostsee wurden wir schließlich fündig und schlugen bei einem großzügigen Grundstück mit einem kleinen, unprätentiösen Häuschen zu. Gerade befinden wir uns mitten in der Renovierungsphase und entwickeln laufend neue Ideen für unseren neuen Rückzugsort. Bei all dem verpassen wir aber auch nicht die Stunden im Garten, in der Hängematte, mit Linda im nahen Wald und beim Sonnenuntergang über dem See. Schließlich soll uns das Projekt Haus vor allem entspannen und nicht zu einem Stressfaktor werden. Bisher gelingt uns das ganz gut und wir fühlen uns seit Kurzem endlich wieder so einigermaßen in Deutschland angekommen.
Tipps für alle Heimkehrer
Was raten wir nun allen Heimkehrern? Zunächst mal lautet die beste Strategie für die ersten Wochen wohl, einfach entspannt zu bleiben und alles auf sich zukommen zu lassen. Vergrabt euch nicht gleich in vermeintlichen Pflichten, unternehmt etwas Schönes. Auch die Heimat bietet wundervolle Ecken, Begegnungen und viel Unbekanntes. Mit dem geschärften Blick der Reise, lässt sich das alles ganz anders wahrnehmen. Selbst die Reaktionen der als unterkühlt geltenden Hamburger auf unsere neue Offenheit, waren durchweg positiv. Wir führten plötzlich spannende Gespräche mit wildfremden Menschen. Im Supermarkt, auf der Straße, auf der Hundewiese…
Mittelfristig ist es wichtig, sein neues und hoffentlich passendes „Hamsterrad“ zu finden. Natürlich stellt sich mittelfristig wieder der Alltag ein, dieser kann aber völlig oder zumindest in Teilen ganz anders aussehen als vor der Reise. Definiert für euch Themen und Aspekte, die euch in eurem neuen Leben wichtig sind. So findet ihr hoffentlich mit der Zeit das passende Gleichgewicht zwischen Pflichten und Entspannung, der Alltagsagenda und den nötigen Freiräumen. Umgebt euch mit Menschen, die euch gut tun, lasst euch nicht von zu vielen Dingen, die „man eben so macht“ einengen. Verlangt nicht unverzüglich die Universallösung und das ideale, Glück bringende Lebensmodell, sondern tastet euch mit einzelnen Bausteine Stück für Stück an ein passendes Lebenskonzept heran.
Uns hat am Ende vor allem das Projekt Haus sowie die damit einhergehende neue Wohlfühl-Umgebung extrem geholfen. Ohne ein Projekt, welchem man sich mit Leidenschaft widmet, landet man schnell in einem Vakuum und findet nur schwer seinen Weg zurück in einen erfüllten Alltag.
Lieber gleich zu Hause bleiben?
Sind all diese Themen ein Grund gar nicht erst loszufahren?! Auf gar keinen Fall! Nehmt euch Zeit für die Wiedereingliederung. Versucht alles so entspannt zu sehen wie unterwegs und die Erwartungen gering zu halten. Bewahrt euch die Offenheit. Hört auch Zuhause damit auf, euch vieles von der Gesellschaft, den Eltern, der eigenen Erwartungshaltung oder anderen diktieren zu lassen. Es ist schon absurd, dass man erst viele Monate auf einem anderen Kontinent unterwegs sein muss, um so banale Dinge zu begreifen, wie dass man immer selbst für sich und sein Glück verantwortlich ist. Und dass der äußere Druck nur selten zu einer positiven Gefühlslage beiträgt. Und noch absurder ist es, dass man das alles zwar unterwegs begriffen hat, entsprechend gelebt hat und man in seiner alten Umgebung prompt unter spontaner Vergesslichkeit leidet und ganz automatisch und pflichtbewusst in alte Muster zurück fällt. Ein ganzes Leben prägt insgesamt wohl doch mehr als 23 Monate.
Es ist nicht immer leicht
Der ganze Prozess der Rückkehr kostet viel Anstrengung und Umdenken. Man darf dabei manchmal nicht konfliktscheu sein, muss sich immer wieder zurück besinnen und sollte bereit sein, an sich zu arbeiten. So ein Ausstieg aus dem Alltag kann Seiten an einem hervorbringen, die vielleicht vorher schon da waren, aber bisher unterdrückt wurden oder die sich „unter normalen Umständen“ erst über lange Zeit herausgebildet hätten. Eine Auszeit kann diesen Prozess beschleunigen und man erkennt plötzlich, was einen wirklich ausmacht. Das kann in der alten Umgebung eine harte Erkenntnis sein. Aber auch eine extrem bereichernde Erfahrung.
Wir sind dem, wie wir sein und dem wofür wir stehen wollen durch unsere Reise ein großes Stück näher gekommen. Es erfüllt uns mit einem gewissen Stolz, dass wir losgezogen sind und uns unseren Reise-Traum erfüllt haben. Allerdings sind wir vor allem losgezogen, um die Welt zu sehen und Abenteuer zu erleben und mit dazu bekamen wir eine Veränderung unserer selbst, die wir vorher nicht wirklich abgesehen haben.
Gestern rief übrigens meine Mutter an und fragte, ob denn nun unsere Gardinen inzwischen mal gereinigt wurden. Inzwischen stehe ja immerhin der Sommer vor der Tür… Ich mache mich dann mal auf den Weg zur Reinigung. Etwas Angepasstheit kann ja nicht schaden und saubere Gardinen sind auch gar nicht so schlecht…
© Fotos: Alexandra Ramthun von Dulliexploring.