Nicht jeder Wagen mit Allradantrieb ist ein Geländewagen, aber jeder Geländewagen hat Allradantrieb. Grund genug für uns, euch die Allradsysteme vorzustellen, die in euren Fahrzeugen eingebaut sind.
Beim Allradantrieb werden alle Räder angetrieben. So weit, so gut. Diese überrascht jetzt nicht. Aber es gibt Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Allradantrieben. Sie lassen sich in drei Arten und in zwei groben Kategorien einteilen. Der klassische, getriebebasierte Allradantrieb auf der einen Seite und die modernen, elektronisch gesteuerten Systeme, zumeist kupplungsbasiert, die es in zahlreichen Variationen und Ausprägungen gibt, auf der anderen Seite.
Letztere fanden mit den boomenden SUVs eine weite Verbreitung. Aber auch immer mehr PKW werden mit solchen Systemen ausgestattet. Die Hersteller erfanden etliche Namen für ihre Systeme, die den Allradantrieb auch zunehmend als Fahrassistenzsystem nutzen. Beispielsweise xDrive, 4Matic, 4WD, 4Motion, All-Mode, ActiveDrive, QuadraTrac, RockTrack, CommandTrack, Terrain Response usw. Eine Trennung zwischen Allrad und Hilfssystemen wie Sperre oder Traktionskontrolle ist technisch immer weniger möglich. Daher fassen diese Namen zunehmend das gesamte Paket inklusive etwaiger Sperren und Offroad-Assistenzsysteme zusammen.
Der Kunde ist oft so ratlos wie beeindruckt. Der Verkäufer wird schon Recht haben. Hoffentlich. Wir wollen das Bild ein wenig entzerren und abseits des Marketing-Getöses die zugrunde liegenden Prinzipien erklären. Zum Glück gibt es nur drei grundlegende Systeme.
Viele Namen – drei Systeme
Die drei Allradantriebsarten, die sich letztendlich finden lassen sind: der permanente Allradantrieb, der manuell zuschaltbare und der automatisch zuschaltende.
Gerade der automatisch zuschaltende Allradantrieb findet sich in vielen Variationen, elektronisch gesteuert, im PKW- und SUV-Bereich. Die neuesten Entwicklungen im E-Antriebsbereich lassen die Vielfalt noch weiter ansteigen. Heutzutage wird nicht mehr einfach nur schnöde eine Achse über eine Kupplung zugeschaltet. Zunehmend sind die All-Wheel-Drive-Systeme eher Fahrassistenzsysteme, die den Allradantrieb für ein sicheres und dynamisches Fahren nutzen.
Die Untersetzung
Wenn von einem Geländewagen gesprochen wird, gehört die Untersetzung dazu. Die Untersetzung ist ein Zweiganggetriebe, welches alle Gänge des Getriebes noch einmal unterteilt. Es splittet zwischen Straße und Gelände. Im Geländemodus wird das Fahrzeug wesentlich langsamer und ist präziser zu steuern. Der Antrieb erfolgt mit mehr Kraft und die Bremswirkung des Motors wirkt sich deutlicher aus, was eine sehr wichtige Funktion beim Hoch- und Runterfahren von steilen Passagen ist. In den meisten Fällen ist das Untersetzungsgetriebe gleichzeitig auch das Verteilergetriebe, von dem die Kardanwellen für den Antrieb der Vorder- und Hinterachse abgehen. Oft werden die beiden Begriffe Untersetzungs- und Verteilergetriebe gleich verwendet. Bei modernen SUV fehlt diese Untersetzung häufig. Sie wird durch einen sehr kurzen ersten Gang oder elektronische Hilfsysteme in Teilen ausgeglichen.
Die drei grundlegenden Allradantriebe
- 1. Manuell zuschaltbarer Allradantrieb
- 2. Permanenter Allradantrieb
- 3. Automatisch zuschaltbarer Allradantrieb
Manuell zuschaltbarer Allradantrieb
Dieser Antrieb findet sich zumeist bei gewerblichen Allradfahrzeugen, die zeitweise im Gelände und auf schlechten Wegen bewegt werden. Aber auch etliche Geländewagen-Veteranen, wie der Jeep Wrangler, die Land Rover Serie, Suzuki LJ und Jimny oder der Toyota Land Cruiser, haben einen manuell zuschaltbaren Allradantrieb.
Im normalen Fahrbetrieb und auch teilweise im Gelände fahren diese Wagen ohne Allrad, meistens im Heckantrieb. Der Allrad wird erst dazu geschaltet, wenn abzusehen ist, dass es die Situation erfordert oder der Wagen schon nicht mehr weiterkommt. Wenn der Allrad über einen Hebel oder elektrisch eingelegt wurde, werden Vorder- und Hinterachse starr zusammengeschaltet. Das entspricht einem Fahrzeug mit permanentem Allradantrieb und gesperrtem Mitteldifferenzial. Deshalb muss man bei diesem Antrieb rechtzeitig daran denken, den Allrad wieder abzuschalten.
Vorteile
Der zuschaltbare Allradantrieb vereint einige Vorteile eines Fahrzeugs ohne Allradantrieb in sich: Er ist günstiger in der Herstellung und der Antriebsstrang ist mangels des Mitteldifferenzials etwas leichter. Der Aufbau des Allradantriebs ist simpler, da das Mitteldifferenzial und dessen Sperre fehlen. Im Gelände leistet der Antrieb aber das gleiche, wie ein Wagen mit permanentem Allradantrieb und gesperrtem Mitteldifferenzial.
Vom Prinzip her spart der Antrieb Kraftstoff. Die Einsparungen werden ungefähr im Schnitt mit 4 bis 6 Prozent beziffert. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die vom Motor abgekoppelten Wellen über den Boden noch mit den angetriebenen Wellen verbunden sind. Sie werden also immer noch vom Motor über den Umweg des Bodens mitgedreht. Mittels Freilaufnaben an den Rädern der nicht permanent angetriebenen Achse, können zusätzlich die Achswellen und die Kardanwelle entkoppelt werden. Der Spareffekt dürfte sich so steigern. Ob diese Einsparungen bei einem ausgewachsenen und beladenen Geländewagen tatsächlich ins Gewicht fallen, bleibt fraglich.
Nachteile
Die Vorteile des Allradantriebs stehen, außer im Gelände oder auf rutschigem Untergrund, beispielsweise bei Schnee, nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung. Dabei kann auch im Alltag ein Allradantrieb sinnvoll sein. Je nach Fahrbahnbeschaffenheit und Witterungsverhältnissen dürfte es jedoch eher umständlich sein, ständig zwischen Zwei- und Allradantrieb hin und her zuschalten.
Bei einigen Fahrzeugen wird beim Wechsel in die Untersetzung zwangsweise der Allradantrieb zugeschaltet. In dem Fall könnt ihr die Untersetzung nicht zur Nutzung der Motorbremse bei steilen Abfahrten auf Untergründen mit guter Traktion nutzen, da sich der zuschaltbare Allrad wie ein normaler Allrad-Antrieb mit gesperrtem Mitteldifferenzial verhält. Das macht sich beispielsweise auf Asphaltserpentinen in Bergregionen und im Anhängerzugbetrieb auf langen, abschüssigen Strecken negativ bemerkbar. Abhilfe schaffen hier Freilaufnaben an der nicht permanent angetriebenen Achse. Wenn Allrad und Untersetzung separat geschaltet werden können, kann die Motorbremswirkung auch auf Asphalt genutzt werden.
Bekannte Fahrzeuge mit diesem Allradantrieb
- Jeep Wrangler
- Land Rover Serien I, II und III
- Ältere Mercedes-Benz G (W 460/461)
- Suzuki LJ80, SJ/Samurai, Jimny
- Toyota Land Cruiser
- VW Iltis
Permanenter Allradantrieb
Wie unschwer zu erraten ist, ist dieser Allradantrieb permanent aktiv. Ihr müsst ihn weder zu- noch abschalten. Er steht euch einfach immer zur Verfügung.
Jedes Fahrzeug mit permanentem Allradantrieb besitzt ein Mitteldifferenzial. Genau wie bei einer angetriebenen Achse ein Differenzial zwischen den Rädern notwendig ist, muss auch ein Ausgleich zwischen den Achsen erfolgen. Handelt es sich bei eurem Fahrzeug um einen Geländewagen ist im Grunde immer ein Untersetzungsgetriebe vorhanden, in dem auch das Mitteldifferenzial seinen Platz hat.
Damit im Gelände nicht zu früh Schluss ist und sich euer Wagen nicht mehr bewegt, könnt ihr das Mitteldifferenzial sperren. Ansonsten würde euer Wagen sobald auch nur ein Rad durchdreht, keinen Meter mehr fahren. Mit der Sperre verbindet ihr Vorder- und Hinterachse starr miteinander, so dass euer Wagen über die Achse an der beide Räder noch Traktion haben, weiterfahren kann. Mehr dazu könnt ihr in unserer Reihe über Differenzialsperren lesen.
Diese Sperre dürft ihr nur im Gelände und auf weniger griffigem Untergrund einschalten. Auf Asphalt würden bei eingeschalteter Mittelsperre im günstigeren Fall die Räder radieren und im ungünstigeren ein Schaden im Antriebsstrang folgen, da die unterschiedlichen Drehzahlen zwischen Vorder- und Hinterachse bei Kurvenfahrten nicht ausgeglichen werden können.
Vorteile
Das Gute am permanenten Allradantrieb ist, dass er einfach immer und in jeder Situation wirkt. Er benötigt keine Anregung, die ihn erst aktiviert, keine Steuerung, keine Elemente die ihn ein- und ausschalten. Ihr müsst also nicht erst in eine Situation kommen, in der euer Wagen steckenbleibt oder ein Rad durchdreht, damit der Allrad zugeschaltet wird (manuell oder automatisch). Ihr müsst euch auch keine Gedanken darüber machen, ob ihr ihn jetzt einschalten möchtet oder nicht. Lediglich beim Einsatz der Sperre, müsst ihr euch überlegen, wann ihr sie aktiviert. Und dann dürft ihr nicht vergessen, sie wieder zu deaktivieren, wenn es auf griffigem Untergrund weitergeht.
Da der Antrieb über ein mechanisches Getriebe realisiert wird, arbeitet er im Grunde verschleißfrei, gute Wartung vorausgesetzt. Diese beschränkt sich im Normalfall auf den regelmäßigen Ölwechsel.
Nachteile
Der größte Nachteil ist erst in den letzten Jahren wirklich einer geworden: Der Verbrauch. Wenn permanent alle vier Räder angetrieben werden, werden auch permanent mehr Massen bewegt als es oftmals notwendig ist. Auf trockenem Asphalt oder anderen ausreichend griffigen Untergründen könntet ihr durchaus auf Allrad verzichten und so würde Treibstoff gespart. Dazu kommt das zusätzliche Gewicht durch das Mitteldifferenzial.
Bei einem großen, eckigen und voll beladenen Geländewagen, fertig zur Reise gepackt, ist diese Ersparnis mehr ein Argument für den Fahrzeughersteller, der die Flottenemissionen auf dem Papier niedrig halten muss. Für euch als Fahrzeugbesitzer, die sich ganz bewusst für einen Geländewagen entschieden haben, dürfte dieses Argument weniger wichtig sein. Ihr dürftet den Mehrverbrauch sehr viel eher akzeptieren, wenn ihr dafür einen zuverlässigen und fähigen Allradwagen bekommt.
Gegenüber dem manuell zuschaltbaren Allradantrieb ist der permanente teurer, da er das Mitteldifferenzial mit Sperre besitzt.
Bekannte Fahrzeuge mit diesem Allradantrieb
- Lada Niva 4×4
- Land Rover Defender, Discovery 1, 2, 2a
- Mercedes-Benz G
Automatisch zuschaltende Allradantrieb
Die dritte und heutzutage am häufigsten anzutreffende Variante ist der automatisch zuschaltende Allradantrieb. Am Markt gibt es eine unüberschaubare Anzahl an Namen. Die Technik dahinter variiert stark, auch wenn vornehmlich kupplungsbasierte Systeme zum Einsatz kommen, die zunehmend mit Elektromotoren kombiniert werden.
Leider haben manche Hersteller kein Problem damit, diese Antriebe als permanent zu bewerben, da sie ja nicht „manuell“ zugeschaltet werden müssen. Wenn sie automatisch durch eine Elektronik zugeschaltet werden, ist es in deren Augen bereits permanent, da ihr als Fahrer nichts mehr machen müsst. Audi fasst sogar unter deren Allradsynonym „quattro“ beides zusammen: einen permanenten Allradantrieb mit Mitteltorsen und einen zuschaltbaren mit Haldex-Kupplung.
Viele Varianten sorgen für Unübersichtlichkeit
Die Palette reicht vom simplen Hinzuschalten einer kompletten Achse mit 50:50 Kraftverteilung zwischen vorne und hinten, über eine unterschiedliche und variable Kraftverteilung bis hin zur separaten Ansteuerung jedes einzelnen Rades.
Zumeist werden diese Systeme heute über nass-laufende Lamellenkupplungen realisiert, wie sie schon lange bei Motorrädern verwendet werden. Diese Kupplungen finden sich zwischen Vorder- und Hinterachse und neuerdings auch in den Achsen. Sie werden elektromechanisch über Hebel oder hydraulisch über Pumpen geschaltet. Früher häufiger verwendet und auch heute noch in einzelnen Fahrzeugtypen zu finden sind Viskosekupplungen, die völlig ohne elektronische Steuerung auskommen und sich selbst durch Drehzahldifferenzen aktivieren und deaktivieren. Ein bekannter Vertreter dieser Variante ist der VW Bus T3 Syncro.
Der gemeinsame Nenner
Allen, bis auf die Viskosekupplung, gemein ist, dass der Allradantrieb automatisch von der Fahrzeugelektronik ein- und ausgeschaltet wird. Um eine Situation, die Allrad erfordert, zu erkennen, dienen die Sensoren des ABS-Bremssystems. Da die Sensoren diese Situation nicht erahnen können, muss erst an mindestens einem Rad eine Drehzahldifferenz entstehen. Sprich ein Rad muss durchdrehen. Je nach Fahrzeug wird dieser Zustand mehr oder weniger schnell erkannt. Nicht selten müsst ihr in solch einem Fall einmal kurz Gas geben, um der Sensorik anzuzeigen, dass ihr jetzt den Allrad braucht.
Simples zuschalten einer Achse
Lange wurde bei den automatischen Systemen nur eine Achse zugeschaltet. Eine Hydraulik oder Mechanik presst dabei die Kupplungslamellen zusammen und schon ist die Achse über ihre Kardanwelle mit dem Antrieb verbunden. Soll die Kraft unterschiedlich stark und dynamisch verteilt werden, wird die Kupplung mehr oder weniger stark zusammengepresst. Einige Fahrzeuge haben zum Zweck der unterschiedlichen Kraftverteilung ein kleines Planetengetriebe eingebaut. Dabei ist das Verhältnis der Kraftverteilung statisch.
Bei quer-eingebauten Motoren bot sich ein anderes System an: Im Zweiradbetrieb fährt der Wagen im Frontantrieb. Die Lage des Motors und des Getriebes machen für die Vorderachse eine Kardanwelle unnötig. Die Kardanwelle für die Hinterachse läuft dann ohne Last mit. Um die Hinterachse zuzuschalten, wird die Kupplung vor dem Hinterachsdifferenzial betätigt.
Bei einem anderen System wird auch die Kardanwelle der Hinterachse entkoppelt, indem die Kupplung vorne in der sogenannten PTU (Power Transfer Unit) untergebracht ist.
Die Zukunft: Jedes Rad einzeln und elektrisch
Seit einigen Jahren gibt es die ersten Modelle, die noch weiter gehen. Über die Kupplungen in der PTU und in den Antriebswellen der beiden Rädern der Hinterachse, wird der gesamte Antriebsstrang bis zu den Hinterrädern entkoppelt. Das klassische Differenzial entfällt. Schließt die Kupplung in der PTU wird Kraft zur Hinterachse abgegeben. Wieviel Kraft jedes Rad bekommt, wird über die Kupplungen in den Antriebswellen der Räder geregelt.
Durch die Möglichkeit einzelne Räder einer oder beider Achsen anzusteuern, überlappen sich gleich mehrere Technologien: die elektronische Traktionskontrolle mit dem Allradantrieb und dem Torque-Vectoring. Dieses System ist beispielsweise in den neuen Land Rover Discovery Sport und Discovery 5 im Einsatz.
Die neuesten Entwicklungen besitzen einen Elektromotor und ein Zweiganggetriebe mit je einem Kupplungspaket pro Rad in einer Achse. Diese Achse benötigt weder ein Differenzial noch eine Kardanwelle, sondern nur Stromleitungen. Bei Bedarf werden einzelne Räder zugeschaltet. Im GKN eTwinsterX System generiert ein 120 kW-Motor satte 3.500 Nm, wovon noch 2.000 Nm an ein einzelnes Rad abgegeben werden können. Das System wurde bisher in einem Volvo XC90 und einem Mercedes GLA gestestet.
Vorteile
Um den Vorteil zu beschreiben, muss zunächst gesagt werden, über welche Art von automatischem Allradantrieb gerade gesprochen wird. Je moderner das System, desto weniger lassen sich die Helferlein wie die Traktionskontrolle oder Differenzialsperre davon trennen. Heutige Systeme vereinen alles. Das birgt natürlich einen erheblichen Vorteil.
Geht es um das simple Zuschalten einer Achse, kann hier sicherlich nur die Spritersparnis genannt werden. Die Systeme sind über die Zeit immer ausgefeilter geworden. Reden wir also von Allradantrieben mit Torque-Vectoring, die ein einzelnes Rad steuern können, gibt es eine ganze Reihe von Vorteilen. Auf der Straße arbeiten sie in eurem Fahrzeug als Fahrasisstenzsystem. Sie unterstützen dynamisches Fahren, helfen in Kurven und bei schlechtem Wetter sicher unterwegs zu sein. Im Gelände steuern sie im besten Falle jedes Rad exakt so an, wie es dort benötigt wird.
Mit dem Elektromotor in der Achse steht viel Kraft und präzise Ansteuerung zur Verfügung. Die fehlende Kardanwelle ermöglicht mehr Raum im Inneren und es entfallen Gewicht und drehende Massen.
Nachteile
Der erste, aber sicherlich in vielen Fällen nicht der wichtigste Nachteil, der mir einfällt, ist: Spaß. Je mehr Computer das Fahren übernehmen, desto mehr schmälert sich das Erlebnis und das Erfolgsgefühl. Die Elektronik bringt einen verdammt weit, verdammt spaßfrei. Für den reinen Anwender ist das natürlich kein Argument.
Hausgemachte Fehler
Handfestere Nachteile gibt es je nach System und Generation. Auch die Hersteller haben über die Jahre dazugelernt und Fehler in älteren Generationen ihrer Systeme beseitigt. Aber die Besitzer zahlten das Lehrgeld.
Ein Allradantrieb der automatisch zugeschaltet wird, muss auch immer erst angeregt werden. Anders gesagt, es muss erst ein Rad durchdrehen oder euer Wagen muss schon feststecken, damit die Sensoren den Zustand feststellen und die Technik reagiert. Das muss keine dramatische Folgen haben, aber wir vergleichen hier nicht mit 2WD-Systemen sondern mit 4WD. Und da muss sich der automatische Antrieb eben dem Fakt stellen, dass er immer etwas später kommt.
Bei älteren Allradsystemen haben sich die Vorderräder schon einmal bereits eingegraben, bis der restliche Antrieb zugeschaltet wurde. Da war es aber schon zu spät. Schlimmer war es an schrägen Auffahrten. Da rutschte die Fahrzeugfront über die Vorderachse bereits seitwärts Richtung Tal, bis die Hinterräder zuschalteten. Bei durchrutschenden Rädern wurde die Leistung runtergeregelt, bis der Wagen einfach stehenblieb. Es wurde grundsätzlich im 2WD-Modus angefahren, obwohl 4WD nötig gewesen wäre. Eine zu plötzliche Verteilung der Antriebskraft auf die Hinterachse sorgte für das Einknicken des Gespanns bei Kurvenfahrt im Anhängerzugbetrieb und auf nasser Straße.
Heute können die kupplungsbasierten, elektronischen Systeme durch Überlastung außer Gefecht gesetzt werden. Überall dort, wo bei den Kupplungen das Durchrutschen zum Prinzip gehört, droht Überhitzung und Verschleiß. Dann greift die Steuerung ein und legt den Antrieb in letzter Instanz still. Das passiert sicherlich nicht auf der Straße, aber in ausgedehnten Passagen mit wenig Traktion, wie auf schlammigen Wegen oder in den Dünen, auf Strecken mit vielen Kurven, wenig Traktion und bei hohen Temperaturen, kann das schnell passieren. Aber auch auf der Straße droht Verschleiß, wenn sich durch unterschiedlich stark abgefahrene Reifen ein ständiger Drehzahlunterschied zwischen den Rädern einstellt.
Im Outback brauchbar?
Alle diese Effekte sind den manuellen auf mechanischen Getrieben basierenden Systemen fremd. Für Overlander und Offroad-Reisende dürfte die komplexe Technik zusätzlich ein Problem bedeuten. Komplexe Allradantriebe mit eigenen Steuergeräten in den Achsen müssen mit entsprechenden Geräten angelernt und kalibriert werden. Nicht jede Werkstatt in jedem Land dürfte dazu in der Lage sein. Selbstreparieren scheidet zunehmend aus.
Fazit
Macht ein Allradantrieb aus jedem Wagen einen Geländewagen? Mit Sicherheit nicht. Für einen Geländewagen, der den Namen auch verdient, braucht es ein paar mehr Attribute als nur den Allradantrieb. Wenn wir einmal von Dingen wie Rampen- und Böschungswinkel, Bodenfreiheit, Wattiefe usw. absehen und beim Antrieb bleiben, gibt es immer noch Forderungen, die nicht unbedingt von den aktuellen modernen elektronischen und kupplungsbasierten Systemen erfüllt werden. Das sind vor allem unkomplizerte Technik, Langlebigkeit und Unempfindlichkeit.
Die Zukunft auch für Hardcore-Geländewagen?
Wenn sie im Einsatz sind, machen die elektronisch gesteuerten zuschaltbaren Allradantriebe ihren Job gut, ja sogar sehr gut. Viele Kinderkrankheiten sind verschwunden.
Dennoch haftet dieser Technik das Makel der Komplexität, der mangelnden Robustheit und der Unzuverlässigkeit an. Ganz zu schweigen von schwierigen bis unmöglichen Reparaturen irgendwo im Nirgendwo. Je moderner das System, je eher trifft das zu.
Zur Reparatur gehört oft ein Computer, der das Ersatzteil mit dem Steuergerät „verheiratet“. Ist in einem mechanischen Achsdifferenzial eine Dichtung undicht, läuft im ungünstigsten Fall Öl heraus, aber fahren könnt ihr noch. Ist der Allradantrieb über eine Hydraulik in der Achse realisiert und wird die Dichtung für die Hydraulik undicht, fällt der Allradantrieb aus. Bei Kupplungen in den Achswellen gibt es Verschleiß in jeder Kurve. Natürlich ist diese Technik ausgereift und hat ihre Lebensdauer. In manchen Fällen gibt der Hersteller sie auch an. Beim GKN Twinster soll sie zwischen 150.000 und 250.000 Kilometer liegen.
Aber vergessen wir eines nicht, nicht jeder, der einen Allradantrieb nötig hat, möchte mit seinem Fahrzeug gleich an einer Trophy teilnehmen oder es nur zum Spaß oder für die Abenteuerreise im Gelände bewegen. Für einen großen Teil der Nutzer ist es schlichtweg ein Werkzeug um einen Job zu erfüllen. Sie brauchen hin und wieder den Allrad und bewegen das Fahrzeug ansonsten in einer gut ausgebauten Infrastruktur. Sei es der Bauleiter, Baumpfleger, Handwerker, Förster oder Jäger. Gerade in solchen Fällen, möchte der Anwender einfach nur, dass das Auto ohne viel Aufwand und eigenes Zutun durchkommt. Und genau dort haben gerade die elektronisch-gesteuerten Systeme ihre Berechtigung.
Nicht blenden lassen, den eigenen Zweck im Fokus halten
Ihr solltet euch als Käufer nicht von der Werbung beeindrucken lassen, die die einzelnen Fahrzeuge der Hersteller in jeder Situation ins beste Licht rücken und sie alles erreichen lassen. Entscheidend ist, was von der Technik auf lange Sicht zu erwarten ist.
Die rein mechanischen, getriebebasierten Systeme haben sich seit vielen Jahren bewährt. Am Markt ist bekannt, wer gute und weniger gute Technik anbietet und was die Fahrzeuge imstande sind zu leisten. Einzelne Teile können verstärkt oder mit Teilen anderer Hersteller kombiniert werden. Reparaturen sind mit normalen Werkstattmitteln möglich. Auch die Erfahrungswerte der älteren automatischen Allradsysteme stehen jedem zur Verfügung.
Die Technik, die seit ungefähr zwei Jahren auf den Markt kommt und auf Kupplungen und Elektromotoren setzt, muss sich erst in den unterschiedlichen Szenarios bewähren. Sie kann nicht ohne weiteres mit anderen Teilen kombiniert werden, da der gesamte Antriebsstrang zunehmend eine abgestimmte Einheit bildet.
Überlegt euch also gut, was ihr mit dem Wagen vorhabt. Für mich gilt trotz und gerade wegen der neuen Technologien, je weiter weg es geht und je härter die Bedingungen werden, desto simpler muss die Technik sein.
„It’s the driveline, stupid!“, mit diesem Worten von Allrad-Veteran Tom Sheppard möchte ich den Artikel beenden. Die Fähigkeiten eines Geländewagens wird erheblich über seine Antriebstechnik definiert. Fragt den Verkäufer doch mal gezielt danach.