Weiter geht es mit Berit, Heppo, dem Hund Sidi und ihrem Mercedes-Benz Rundhauber Frau Scherer. Im ersten Teil ging es durch Marokko und die Westsahara. In dieser Folge geht es weiter süd- und ostwärts. Die vier erreichen Mauretanien und Mali.
Mauretanien ist gefährlich. Wenn man der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes Glauben schenkt, dann wimmelt es dort nur so von Terroristen und potentiellen Entführern der Al-Qaida im islamischen Maghreb, kurz AQMI. So ist uns anfangs etwas unwohl, wenn wir mitten in der Wüste unser Lager aufschlagen, doch zunehmend fühlen wir uns sicherer. Viele der Einheimischen, insbesondere in der Atar-Region, die lange Zeit als „rote Zone“ galt, warten mittlerweile sehnsüchtig auf eine Rückkehr der Touristen. Vor 2008, als wegen Terrordrohungen die bekannte Rallye Paris-Dakar abgesagt wurde, lief das Geschäft mit den Wüstenliebhabern und Offroadfahrern schon einmal ganz gut.
An der Grenze zu Mauretanien
Bereits im Grenzgebiet von Marokko zu Mauretanien staunen wir nicht schlecht, als wir der steinigen Piste durch das verminte Niemandsland folgen. Da streikt die Frente Polisario, eine militärische Widerstandsorganisation für die Unabhängigkeit der Westsahara, und blockiert eine komplette Straßenseite. Links und rechts des holprigen Weges liegt eine beeindruckende Anzahl an Autowracks. Verbeult sind sie und sandgestrahlt. «Wie die da wohl hingekommen sind?», fragen wir uns. Die Antwort erhalten wir fast sofort. Schon beginnt vor uns eine dieser heillos überladenen, alten Mercedes-Limousinen große Mengen an Flüssigkeit zu verlieren: Diesel oder Wasser? Der Fahrer ist verzweifelt. Und wir, die wir uns auf dieser Reise bereits mehrfach erfolgreich als Pannenhelfer betätigt haben, fahren nun, jeden Blickkontakt vermeidend, an dem Unglücklichen vorüber. An unwirtlichen Ort ist sich jeder selbst der Nächste!
Sagenhafte Wüste
Halt! Es wäre wirklich unfair, Mauretanien nur über seine negativen Seiten zu beschreiben, denn die Wüste ist von sagenhafter Schönheit. Manchmal glauben wir fast ein Traumbild vor uns zu haben, sogar eine Fata Morgana. Ein Weichzeichner aus Sand liegt über dieser biblischen Landschaft. Doch die gnadenlos brennende Sonne lässt Häuser und schwarz verwitterte Felsen lange, harte Schatten werfen. Sie bringt die Luft zum Flirren. Die beiden Gegensätze, das Weiche und das Harte, erzeugen zusammen einen seltsamen, künstlerischen Effekt: Manchmal wachen wir auf und meinen uns in einem Aquarellbild zu befinden. Ein anderes Mal sehen wir uns erstaunt um und blicken auf ein hyperrealistisches Gemälde. „Psst, hör mal, wie still es ist!“ Und es ist einsam: Tagelang treffen wir auf keine anderen Menschen.
Wir fahren entlang der berühmten Erzeisenbahn von Bôu Lenoir nach Choum. Im GPS Offroad Tourenbuch Mauretanien der Lila Pistenkuh ist von einer Anfängerstrecke die Rede. Wir finden aber, dass der Track trotzdem einige Herausforderungen bereithält. Insbesondere die Dünendurchfahrten und die kilometerlangen Grasbüschelfelder haben es in sich. Auch die Länge der Strecke von 400 Kilometern sollte nicht unterschätzt werden. Da die Versorgungslage in den wenigen Dörfern eher dürftig ist, empfiehlt es sich, ausreichend Kraftstoff, Wasser und Lebensmittel mitzunehmen.
Es wird härter
Gleich hinter Bôu Lenoir müssen wir buddeln und die Sandbleche auspacken. Erste Bedenken stellen sich bei mir ein. Vor meinem inneren Auge sehe ich unsere vom Wüstensand zugewehte Skelette und ein hellblaues LKW-Wrack. Doch Heppo, mein Mann, denkt nicht ans Aufgeben. Sein Abenteuergeist ist geweckt. Als es zum Abend hin endlich etwas kühler wird, lässt er noch mal Reifendruck ab. Schon bald steht Frau Scherer, wie wir unseren alten Rundhauber liebevoll nennen, wieder auf festem Boden. Auch Sidi, unser Saharahund, der am Nachmittag noch im Schatten unseres Wohnmobils darbte, ist plötzlich ganz ausgezeichneter Laune. Er wedelt voller Freude, als eine Herde Dromedare an uns vorbei in den Sonnenuntergang zieht.
Die weitere Fahrt verläuft zum Glück ohne dramatische Vorkommnisse. Unser Allradmobil schlägt sich großartig im Weichsand. Wie ein Schiff schaukelt es durch das Meer aus Dünen. Erstaunlich, was unsere alte, behäbige Dame tatsächlich zu leisten vermag.
In Atar angekommen
In Atar, der drittgrößten Stadt des Landes, freuen wir uns auf etwas Komfort in der Auberge Bab Sahara. Leider werden wir – kaum aus dem Fahrzeug ausgestiegen – sogleich ausgiebig belagert. Findige Verkäufer wollen uns Schmuck oder Wüstentouren andrehen. Das nervt. Dafür gibt es auf dem Gelände eine Waschmaschine und ordentliche Duschen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen: Das Wasser ist trinkbar und von guter Qualität.
Weltkulturerbe Chinguetti und ein Geheimtipp
Nach einem Ausflug in das UNESCO Weltkulturerbe Chinguetti, ein kleiner, fast vom Wüstensand verschluckter Ort auf dem Adrar-Plateau, der vor allem wegen seiner Architektur und der in Privatbesitz befindlichen islamischen Bibliotheken bekannt ist, folgen wir einem Geheimtipp von zwei Franzosen in das Ökodorf Maden. Gelbe Dünen treffen hier auf schwarze Berge und eine grüne, fruchtbare Oase. Die Bewohner sind Anhänger einer Sufigemeinschaft, die sich rund um den Marabut Maden V. im Jahr 1970 gegründet hatte.
Imam Taha, Sohn des 2003 verstorbenen Mannes, der wie ein Heiliger verehrt wird, begrüßt uns herzlich und – erwähnenswert – reicht auch mir als Frau die Hand zum Gruß. Werte wie Demokratie, Gleichberechtigung und Antirassismus sind wichtige Bestandteile der hier gelebten Philosophie. Der algerischstämmige, französische Schriftsteller Pierre Rabi fand das Dorf so bemerkenswert, dass er dessen ökologisch orientierte, landwirtschaftliche Kooperative seit ein paar Jahren mit seiner Stiftung unterstützt. Über Besucher freuen sich die Bewohner von Maden sehr. Ein gemütliches Haus im Zentrum der Ortschaft ist eigens nur für potentielle Gäste reserviert. Folgendes sollte man jedoch wissen: Die Anfahrt ins Dorf ist äußerst unwegsam. Ca. 12 Kilometer müssen auf steiniger Piste bewältigt werden (Abzweigung von der Teerstraße von Aoujeft kommend bei Koordinaten 19.93810 -12.93693). Vom Funkmast aus folgt zuletzt noch eine etwa 1,5 km steile Abfahrt über schräge Felsplatten und große Steinstufen hinab ins Dorf.
Auf dem Weg in die Hauptstadt
Auf einer perfekt geteerten Straße geht es weiter gen Osten, in die Hauptstadt Nuakschott. Mehrmals wechselt die Landschaft die Farbe: Rotbraun und beige ist sie im Adrar. Nur 100 Kilometer weiter ist sie grün, wie die frische Grasdecke, die nun tatsächlich den Sand überzieht. 150 Kilometer danach sieht es jedoch bereits wieder aus wie auf einem Todesstern, alles Leben ist verschwunden. Ein unwirtlicher Wind pfeift durch die Landschaft. Die vorherrschende Farbe nenne ich „knochenbleich“! Vor Nuakschott leuchtet der Sand dann wieder sanft und goldgelb.
Trostloses Nuakschott
Die Endzeitstimmung, die wir bereits im ganzen Land feststellen konnten, hat dann auch die Hauptstadt fest im Griff. Nichts ist neu, nichts glänzt. Alles sieht gebraucht und verbraucht aus. Schrottautos klappern vor uns durch die Straßen und blasen schwarzen und weißen Qualm in die Luft. Es fährt, was eigentlich nicht mehr fahren kann/darf/muss. Was abfällt, fällt eben ab. Keine Autotüren? Wer braucht die schon? Motorhaube fort? Es geht auch ohne! Der Blinker ist weg? Dann ist er eben nicht mehr da! Faszinierend ist das und irgendwie traurig zugleich.
Wieder raus in die Natur
Schon bald zieht es uns zurück in die Natur, wieder nach Osten, wo wir sehr seltene Saharakrokodile beobachten wollen. Auf dem Weg dorthin weicht die Wüste zurück, um der sogenannten Sahelzone Platz zu machen. Tatsächlich befinden wir uns schon seit einiger Zeit in den Tropen. Wunderbare Sing- und Pfeifkonzerte wecken uns nun morgens. Auffällig bunte Vögel schnarren, krächzen und trillern ganz unerhört rund um unseren Lastwagen und hüpfen vergnügt durch die Wipfel.
Ja, tatsächlich, es gibt sie wieder, die Vegetation: Hier wachsen Palmen, Büsche und richtige Bäume. Auf einem etwas erhöhten Felsen finden wir einen guten Beobachtungsposten. Etwa zwölf der Reptilien zählen wir in dem kleinen Tümpel. Kurz vor Sonnenuntergang erwartet uns dann noch ein besonderes Schauspiel: Plötzlich sind die Berghänge links und rechts von uns von hunderten Pavianen bevölkert. Gleich mehrere Tage bleiben wir in diesem kleinen Paradies, dessen einziger Haken darin besteht, dass die Tagestemperaturen weit über 40 Grad liegen. Auch nachts kühlt es leider kaum ab.
Sollen wir wirklich nach Mali?
Noch zögern wir weiterzufahren, denn vor uns liegt Mali, ein Land, auf das wir mit reichlich gemischten Gefühlen blicken. Regelmäßig kommt es dort zu Anschlägen und militärischen Kampfhandlungen. Das Risiko scheint jedoch kalkulierbar zu sein. Der dicht besiedelte Süden gilt als relativ sicher, der dünn besiedelte und mit schlechter Infrastruktur ausgestattete Norden ist hingegen mittlerweile eine „No-Go-Area“. Räuberbanden kontrollieren dort die Straßen. Islamisten regieren die Städte mittels der Sharia. Ein halbes Land ist auf der Flucht, darunter viele Musiker, Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler und Denker. Einige von ihnen gingen ins Ausland, andere leben nun im Exil in der Hauptstadt.
Bamako – Mofahauptstadt
Bamako heißt diese. Schön ist sie nicht, denn die Gebäude verschwinden hinter einer dichten grünen Wand aus Blattwerk. Doch auch die Gewächse treten in den Hintergrund, denn vor sie schiebt sich ein breiter, stetig fließender Verkehrsstrom: Taxis, Kleinbusse und Mofas vor allem. Wie Bamako riecht? Die Antwort heißt ganz klar: Nach Mofamischung. Natürlich gibt es auch Autos, unzählige Taxis und die „Sotramas“ genannten grünen Kleinbusse, die günstige Transportmittel sind. Junge Männer, die aus den offenen Schiebetüren hängen, regeln Zu- und Ausstiege und kassieren das Fahrgeld. Selbst der allgegenwärtige Verkehr wird letztendlich verschluckt vom Smog, der sich wie eine bleierne Glocke über alles legt. Nach nur wenigen Tagen in der Hauptstadt brennen die Augen und pfeifen unsere Lungen. Abends haben wir Husten.
Bamako – Musikhauptstadt
Was an Bamako jedoch fasziniert, ist eine lebendige, aufgeschlossene und internationale Musikszene. Sogar die Stadtviertel heißen wie Tanzschritte: „Komm tanz mit mir den Badala-Bougou, den Missabougou, den Bozola oder den Faladie!“ Die Assoziation zum Tanz liegt nahe in einer Stadt, in der die Musik so präsent ist wie selten irgendwo. Zu fast jeder Tages- oder Nachtzeit fliegen von den Dächern und aus den Innenhöfen heiße Trommelrhythmen, psychedelische Gitarrenriffs und die wehmütigen Melodielinien des Mali-Blues. Wer will, kann in dieser Stadt am Niger jeden Tag ein Livekonzert erleben.
Jamsession
Bereits am zweiten Tag haben wir Kontakte zu lokalen Musikern. Heppo ist nicht schüchtern. Einfach so spaziert er in eine Villa, aus der die hypnotischen Klänge einer Sahel-Blues-Band dringen. Die Eigentümerin ist nicht verärgert. Ganz im Gegenteil: Wir werden sogar eingeladen, bei der Probe zuzuhören. Unsere Gastgeberin entpuppt sich als Keltoum, eine der Gründerinnen der nicht unbekannten Nomaden-Band Tinariwen. Heppo, selbst Schlagzeuger, darf zum Dank für seine Dreistigkeit dann sogar bei einem der nächsten Treffen mitjammen.
Wir treffen den Kalebassenspieler Alassane Samake und seinen Freund Adama Sidibé, einen Meister auf der einsaitigen Geige, der Djouren Kelen. Zusammen sind sie das Duo Sahel Roots. Bei einem Konzert im Lac du Lassa im Norden der Stadt unterstützt Heppo die Gruppe sogar bei zwei Songs musikalisch.
Auch im Africa Club werden wir bald begrüßt wie alte Bekannte. Dort erleben wir ein mitreißendes Konzert von Nabintou Diakite und ihrer Band. Im Institut Francais sehen wir die beeindruckende Formation Cheickné Somane 5 Tamans, die wirklich und wahrhaftig mit ihren sprechenden Trommeln zu kommunizieren weiß. An unserem letzten Abend in Bamako wagen wir uns bei Salome sogar in den Kreis aus Tänzern, die mit immer gewagteren Bewegungen die Sängerin umrunden. Unsere Performance war, wenn schon nicht sonderlich gut, so doch zumindest mutig. Das wird honoriert, und unsere Bemühungen werden von Publikum und Band freudig beklatscht.
Richtung Elfenbeinküste
Wir müssen weiter in die Côte d‘Ivoire, aber es fällt uns schwer zu gehen. Neben der Musik sind es vor allem die Menschen, die Bamako so anziehend machen. Unglaublich für eine Stadt mit etwa 2,5 Millionen Einwohnern: Es wird miteinander gesprochen. Weil wir „Toubabou“ sind, also Weiße, fallen wir aber wahrscheinlich auch besonders auf. Schon kennen wir das halbe Viertel: Housman, den netten alten, zahnlosen Mann, der stets vor seinem Haus auf einem kleinen Schemel sitzt. Er liebt es mit uns zu plaudern. Auch sein Namensvetter, ein Taxifahrer, ist ein netter Kerl. Wir kennen schon seine ganze Familiengeschichte. Der junge Mann vom Kopierladen ruft mir zu: „Amanita, so nenne ich dich. Das bedeutet Freundin!“
Süße und saure Früchtchen
Auch Heppo wird mit Aufmerksamkeiten bedacht: Ihm gefallen die „Mädchen mit Gebäckkopfschmuck“. Allerlei Teigwaren bieten sie auf ihren Köpfen zum Verkauf an. „Wie im Elfenland ist das!“, seufzt mein Mann und blickt den zugegeben sehr hübschen, langbeinigen Wesen verträumt hinterher. Unglaublich, was da alles an unserem Fenster vorbeischwebt: Hosen, Geschirrtücher und ganze Obstkörbe. Vor allem die Zitronenmädchen wissen um ihre Faszination, die sie auf meinen Liebsten ausüben. Mehrmals täglich stehen sie nun vor unserer Türe und versuchen sich an einem Wimpernklimpern auf Mandelaugen, Schnütchen und Schmollmund. Und ich frage mich, was – um alles in der Welt- wir nun mit diesen vielen sauren Früchten anfangen sollen?
Nicht mein Problem! Die Türsteher der Auberge und Bar Sleeping Camel können mich schließlich auch gut leiden. Sie schäkern gerne mit mir. Seit Tagen versuchen sie, mich mit den komplizierten Begrüßungsformeln in ihrer Sprache Bambara vertraut zu machen. Nun, es wird Zeit für eine (vorläufig) letzte Vokabel: „K’an ben! – Mögen wir uns wieder treffen!“
Reisetipps für Mauretanien und Mali
- Bitte bezahlt keine sogenannten „Fixer“ an den Grenzen: Unserer Erfahrung nach, geht es sehr gut auch ohne.
- Für Mauretanien benötigt man ein sogenanntes „Passavant“. Dieses kostet 10 Euro. Sehr wichtig: Unbedingt darauf achten, dass in dieses 30 Tage eingetragen werden und nicht nur 14 Tage.
- Der Abschluss einer mauretanischen Autoversicherung ist direkt an der Grenze möglich. Für unser Fahrzeug (MB LA710) kostete diese 3650 Um (Oguyia), also ca. 90 Euro.
Über die Autorin
Berit Hüttinger reist mit ihrem Mann Andreas alias Heppo und Hund gerne um die Welt. Als fahrbarer Untersatz dient Ihnen dabei ein in die Jahre gekommener 4×4 Mercedes Benz Rundhauber namens Frau Scherer, Baujahr 1964. Gerade ist das Team unterwegs in Westafrika. Ihre letzte große Reise führte die vier nach Zentralasien, bis nach Tadschikistan, Iran und Oman. Das Buch zu diesem Allradabenteuer ist bei Delius Klasing erschienen. Es heißt: Roadtrip mit Frau Scherer, Ein Allradabenteuer von der Adria bis zum Altai.
Berit, Heppo und Frau Scherer im Netz: www.la710.de/wordpress
Instagramer können Frau Scherer unter @roadtripfrauscherer folgen.
Im September 2018 ist ihr Buch über ihre Reisen und Erlebnisse im Delius Klasing Verlag erschienen: Roadtrip mit Frau Scherer.
© Fotos: Berit Hüttinger & Andreas Helmberger