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Offroad-Weihnacht

Eine Offroad-Weihnachtsgeschichte

„Tschüss, Chef. Frohe Weihnachten.“ „Mach’s gut Mark. Wir sehen uns nächste Woche. Und dir auch frohe Weihnachten.“ Krachend fiel das Tor zu und Jimmy war alleine in der Werkstatt. Das Licht der Straßenlaterne schien durch ein zerbrochenes Fenster zu ihm hinein. Doch der Lichtschein schaffte es kaum in die Werkstatt zu dringen.

Der Wind pfiff unter dem Tor her. Jimmy fröstelte es. War es die Kälte, die von draußen in die Werkstatt kroch oder hatte er etwa Angst? Was war das? Hatte er da nicht ein Rascheln gehört? Vorsichtig startete er den Motor und schaltete das Licht ein. Er sah sich um, aber es war nichts zu sehen. „Warum bin ich eigentlich noch hier?“, dachte er bei sich. „Die Jungs aus der Werkstatt haben mich doch extra fit gemacht. Ob Frank mich wohl vergessen hat abzuholen?“ Jimmy schob den Gedanken schnell beiseite. Frank liebte ihn und sie verbrachten so viel Zeit miteinander. Er würde ihn nicht vergessen. Es musste etwas passiert sein.

Er merkte wie aufgeregt er wurde. Die Kolben hämmerten in seinem kleinen Motor immer schneller hoch und runter. Die Werkstatt füllte sich mit Nebel. „Ich muss etwas tun. Aber als erstes muss ich raus hier.“ Er gab ein bisschen Gas und stupste mit seiner Stoßstange gegen das Tor. Das Tor öffnete sich einen Zentimeter. Nicht abgeschlossen zum Glück. Noch ein bisschen mehr Gas. Schon öffnete sich das Tor einen Spalt weit. Nochmal einmal fuhr der kleine Suzuki gegen das Tor bis es sich endlich so weit öffnete, dass er hindurch fahren konnte.

Er stand auf dem dunklen Hof. Schemenhaft konnte er andere Offroader erkennen. Neben ihm stand ein alter Forward Control, in dessen Motor sich bereits Vögel ein Nest gebaut hatten. Gleich vor der Mauer stand ein alter Nissan Patrol mit platten Rädern und zerborstener Scheibe. Daneben ein alter Toyota FJ40. Die Türen hingen schief in den Angeln und die Motorhaube war von Rost komplett zerfressen. Traurig drehte er sich weg.

„Das passiert wohl mit Wagen, die von ihren Besitzern hier vergessen werden“, dachte Jimmy. Dabei lief es ihm kalt den Rahmen herunter. „Ich muss zusehen, dass ich hier wegkomme.“ Auf der anderen Seite des Hofes sah Jimmy einen alten Steyr 12M18 stehen, der ihn aus seinen moosigen, dunklen Augen finster anstarrte.

Mit einem Mal wurde es taghell auf dem Hof. Der alte Steyr hatte sein Licht angeschaltet und sein Motor kreischte auf. Jimmy machte einen Satz und fuhr mit quietschenden Reifen vom Hof. Die Kolben hämmerten immer schneller unter seiner Motorhaube. „Nur weg hier“, dachte er bei sich.

Immer wieder sah er in den Rückspiegel, doch der Steyr schien ihm nicht zu folgen. Jimmy verlangsamte sein Tempo. Die Straßen waren leer. Kein Wunder schließlich war heute Heilig Abend. Hinter den Fenstern der Häuser sah er Kerzen, Weihnachtsbäume und fröhliche Gesichter.

Da stand er nun allein auf der Straße und wusste nicht, was mit Frank geschehen war. Unweigerlich schossen ihm ein paar Wischwassertropfen auf die Scheibe. Er bekam Angst. Angst um Frank. Schnell wischte er die Tropfen beiseite und fasste neuen Mut. „Ich werde Frank finden!“, hupte er und machte sich auf den Weg nach Hause.

Einsam fuhr er durch die dunklen Straßen. Als er in seine Einfahrt rollte, sah er, dass alle Fenster von Franks Haus stockdunkel waren. Nicht einmal die Außenbeleuchtung brannte und die machte Frank immer an, wenn er abends aus dem Haus ging. Er war sich nun sicher, dass hier irgendwas nicht stimmte. Sein Mut sank. „Oh, Frank wo bist du bloß?“, wimmerte Jimmy leise.

Vielleicht war er mit Matt, seinem Labrador spazieren, gegangen. Ein garstiges Biest, das ständig Haare verlor und in seine Sitze pupste. „Sicher war Matt wieder abgehauen und Frank musste ihn im Wald suchen. Deshalb war er nicht gekommen. So musste es sein.“ Voll Hoffnung fuhr der kleine Suzuki in den finsteren Wald am Ende der Straße. Er wusste, dass er dort eigentlich keinen Zutritt hatte, aber Frank kannte den Förster gut und deshalb waren Frank und er öfter im Wald „spielen“ gewesen.

Langsam tastete sich Jimmy in den Wald vor, schließlich wollte er kein Tier überfahren. Neben ihm knackte irgend etwas im Unterholz. Mit seinen Scheinwerfern leuchtete er in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Aber er konnte nichts erkennen. Ein Käuzchen ließ ein lautes „uuuhhhuuu“ durch den Wald schallen. Vor Schreck verschluckte Jimmy zu viel Diesel und sein Motor ging aus. Plötzlich war es still. So still, dass er den Rest des Diesels noch durch seine Leitungen rauschen hörte.

Jimmy startete seinen Motor wieder und rollte über den Waldweg. Die Minuten schienen endlos zu sein. Wie lange war er schon im Wald? 10 Minuten? Es fühlte sich an wie zwei Stunden. Weder von Frank noch von Matt war etwas zu sehen. Gleich musste er an das Haus des Försters kommen. Etwas weiter vorne konnte er eine Abzweigung erkennen. Er schaltete die Strahler auf seinem Dach ein. Endlich hell, warum war ihm das nicht früher eingefallen. „Hmm. Nein, das ist nicht der Weg zum Förster. Bin ich irgendwo falsch abgebogen? Verdammt, ich darf mich auf keinen Fall hier verfahren. Oh, Frank. Wo bist du?“, klagte der kleine Suzuki.

Er fuhr noch ein paar Meter bis rechts erneut ein Weg abzweigte. Neben dem Weg stand eine große Eiche, die ihm bekannt vorkam. Hier war er richtig. Vor Freude ließ Jimmy etwas unachtsam die Kupplung flitschen und machte einen Satz. Vielleicht trank Frank beim Förster ein Bier. Manchmal tat er das. Jimmy unterhielt sich dann meistens mit Hunter, dem Renegade des Försters. Obwohl der ihm mit seinen Angebereien mächtig auf die Bremsen ging. Schwarzfolierte Nase, Gewehrhalter und Neungang-Automatik. Wer braucht schon sowas. Egal, er musste Frank finden.

Doch auch beim Förster war alles dunkel. Wieder kein Frank. „Mist“, dachte Jimmy. Sein Motor sackte immer tiefer in den Motorraum. Hunter schnarchte neben dem Haus. „Hey, Hunter. Wach auf.“ „Hunter.“ „HUNNNNNNTTTTTTTTERRRR“, rief Jimmy nun etwas lauter. Erschrocken fuhr der Renegade hoch und entzündete alle Lampen. „Was? Wer da? Geh weg oder ich schieße“, dröhnte Hunter verschlafen. „Hunter ich bin es! Jimmy!“ „Oh, dann kann ich ja weiterschlafen“, antwortete Hunter und war gerade wieder dabei seine Scheinwerfer auszuschalten. „Nein, nicht wieder einschlafen. Ich suche Frank. Hast du ihn vielleicht gesehen?“, fragte Jimmy. „Frank. Nö, den hab ich seit Tagen schon nicht gesehen.“ „Verflixt, wo kann er nur sein“, Jimmy überlegte angestrengt. „Frag doch mal Mathilda, die weiß doch immer alles“, riet ihm Hunter. „Mathilda? Ja, wenn jemand wusste, was mit Frank geschehen war, dann war es Mathilda. Ich fahr gleich mal hin“, murmelte der kleine Suzuki. Und schon war Jimmy wieder abgedüst. Das schläfrige „Tschööööööö….“ von Hunter bekam er schon nicht mehr mit.

Jimmy eilte aus dem Wald. Angst und Vorsicht hatte er völlig vergessen. „Frank musste bei Mathildas Besitzerin Elisabeth sein. Sicher feiern die beiden zusammen Weihnachten.“ Jimmys Motorhaube verzog sich zu einem Lächeln, als er an Mathilda dachte. Auch seine Kolben klopften ein bisschen schneller. Mathilda hatte so einen hübschen britischen Akzent.

Er war wieder auf der Straße und fuhr durch den kleinen Ort. Vor einer großen Schaufensterscheibe prüfte er noch einmal sein Äußeres. Meine Güte seine Türen und Kotflügel waren voller Matsch. Die Wege im Wald waren auch ziemlich schlammig gewesen. Aber das würde Mathilda sicher gefallen.

Als er in die Straße einbog, sah er Mathilda schon von Weitem. Ihr matter Lack schimmerte grau im Licht der Straßenlaterne. Das elegante Fahrwerk und das vorstehende Dach standen ihr so gut. Er schnupperte noch einmal an seinen Auspuffgasen. Gut, dass Frank letztens noch diesen Ultimate Diesel getankt hatte. Langsam näherte er sich Mathilda. Sie stand vor dem Haus und sah fern. Die Nachbarn hatten sich zu Weihnachten wohl einen neuen 95-Zoll-Fernseher gekauft. Irgendein Rennen schien da zu laufen. Wie gern hätte er sich das mit Mathilda gemeinsam angesehen. Aber er war schließlich nicht zum Vergnügen hier.

„Hallo Mathilda“, hüstelte Jimmy freundlich. „Hey Jimmy, schicker Matsch. Steht dir.“ Mathildas Scheinwerfer flackerten bewundernd auf. Ein Lächeln huschte über Jimmys Motorhaube. „Ich bin auf der Suche nach Frank. Hast du ihn gesehen?“ Mathilda riss die Scheinwerfer weit auf. Plötzlich wirkte ihre Lackierung viel weißer. „Oh, armer Jimmy. Weißt du es denn gar nicht?“, fragte die Ambulanz mit besorgter Stimme. Jimmy schwante Schreckliches. Seine Karosserie zitterte. „Ich war gestern auf einem Feuerwehrfest. Da waren auch einige Rettungswagen dabei. Sie erzählten mir, dass der Rettungsdienst Frank gestern ins Krankenhaus eingeliefert hat.“, flüstere Mathilda leise. „Nein, das kann nicht sein.“, schluchzte der kleine Suzuki. „Weißt du was passiert ist?“ „Nein, tut mir leid, Jimmy. Das durften sie mir nicht sagen“, antwortete Mathilda. Jimmy stieg wieder das Wischwasser in den Leitungen. Verdammt ausgerechnet vor Mathilda. „Gut, dann werde ich wohl mal besser zum Krankenhaus fahren. Danke, Mathilda“. „Viel Glück, Jimmy und lass die Stoßstange nicht hängen!“, rief Mathilda ihm nach.

Grelles Neonlicht erleuchtete die Eingangshalle des Krankenhauses. Frank saß auf einem unbequemen Plastikstuhl und sah erst auf seine Krücken und dann auf das Gipsbein. „Schöne Bescherung“, murmelte er vor sich hin. „Wie kann man nur so blöd sein beim Zeitungsholen auf der eigenen Treppe auszurutschen.“ Frank verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Dabei hatte er sich alles so schön vorgestellt. Gemütlich frühstücken, Jimmy aus der Werkstatt holen und dann mit den anderen in Fürstenau treffen. Es sollte eine kleine Weihnachtsüberraschung für seinen kleinen Suzuki werden. Er wusste doch wie sehr Jimmy Offroad-Parks liebte. Und jetzt saß er hier und wartete seit zwei Stunden auf das Taxi. „Weihnachten halt“, hatte der Mann von der Taxizentrale gesagt. „Da müssen sie schon ein zwei Stunden Geduld haben, bis das nächste frei wird.“ Zum gefühlt hundertsten Mal sah Frank auf die Uhr.

Angstvoll hatte sich Jimmy auf den Weg zum Krankenhaus gemacht. Immer wieder musste er das Wischwasser von der Scheibe wischen. Jimmy war so durcheinander, dass er sich mehrfach verschaltete. Angestrengt überlegte er, was Frank wohl passiert sein könnte. „War er gerade über rot gefahren? Verflixt.“ Auf einmal merkte er, wie sein linkes Hinterrad immer unruhiger wurde und ihm das Fahren weh tat. Jeder Meter machte es schlimmer. Er sah sich um. Sein Hinterrad verlor Luft. „So ein verdammter …“, fluchte Jimmy vor sich hin. Es waren noch gut zwei Kilometer bis zum Krankenhaus. Das Fahren strengte ihn immer mehr an. Und diese Schmerzen. Er wurde langsamer und langsamer. Gerade als der Schmerz kaum noch auszuhalten war, sah er hinter einer Kurve das Krankenhaus. Er schleppte sich mit letzter Kraft vor die große Drehtür. Aus seiner Kehle entfloh noch ein letztes leises „Möp“ und der Motor erstarb.

Ein „Möp“ riss Frank aus seinen dunklen Gedanken. „Hab ich da ein Möp gehört?“, dachte Frank. „Komisch, das Geräusch hatte genau wie Jimmys Hupe geklungen. Jetzt hab ich schon Wahnvorstellungen. Das kommt sicher von den Schmerzmitteln.“ Er sah wieder auf sein Bein und ärgerte sich. Irgendwie wurde Frank unruhig. Und wenn es doch Jimmys Hupe gewesen war? Frank griff nach seinen Krücken und stand mühsam auf. Einbeinig und auf Krücken humpelte er durch die Drehtür. Eiskalte Dezemberluft umfing ihn. Was war das? „Jimmy!“, rief Frank erstaunt aus. „Mein Junge, was machst du denn hier?“ Schnell humpelte er zu seinem Freund. „Oh, nein. Du hast ja einen Platten. Und ganz voller Schlamm bist du auch. Was ist passiert?“

Sanft streichelte Frank Jimmys Tür. Das schien Jimmys Lebensgeister wieder zu erwecken. Er trötete leise und dann etwas lauter. Man, was freute er sich Frank zu sehen. Und Frank ging es scheinbar gut, bis auf das Gipsbein natürlich. Erleichtert stob er eine blaue Wolke aus dem Auspuff und ein großer Klumpen Matsch fiel ihm von der Ölwanne. Dann sahen die beiden die Lichter eines Mercedes um die Ecke biegen. Es war das Taxi. Der Fahrer stieg aus, während das Taxi Jimmy nur mitleidig ansah. „Diese Mercedes sind doch alle gleich“, dachte Jimmy ärgerlich. Doch eigentlich wollte er sich gar nicht ärgern, denn endlich hatte er Frank wieder. Ein Grinsen streifte seine Motorhaube.

„Hat hier jemand ein Taxi bestellt?“, fragte der Fahrer. „Ja, ich. Aber das brauche ich nicht mehr. Wenn Sie aber so freundlich sein könnten und mir beim Reifenwechsel zu helfen. Mit dem Gipsbein ist das echt schwierig“, bat Frank den Mann. Der Taxifahrer sah Frank etwas verwundert an, half ihm dann aber. Nach wenigen Minuten war Jimmy wieder flott gemacht und es ging ihm gleich besser. Seine Scheinwerfer strahlten. Frank grinste, als er sich auf den Fahrersitz fallen ließ. „Erst mal nach Hause und packen. Gipsbein hin oder her. Wir feiern Weihnachten in Fürstenau. Was hältst du davon Jimmy?“ Jimmy machte dreimal hintereinander ein lautes Möp und spielte mit dem Gas. „Dann auf nach Fürstenau!“ Jimmy beschleunigte und gemeinsam fuhren sie davon.