„Wenn einer eine Reise tut, der kann was erzählen“, heißt es im Volksmund. Dabei handeln die Geschichten oft von nervenaufreibenden Grenzübertritten, horrenden Schmiergeld-Summen, dem sogenannten Bakschisch, korrupten Polizisten und tagelangen Übernachtungen im Niemandsland – allesamt Erfahrungen, die angehende Reisende abschrecken über die Grenzen der Komfortzone Europa hinaus zu fahren. Aber stimmen die sagenhaften Erzählungen und wie schlimm ist es wirklich? – Hier ist unser Erfahrungsbericht.
Die erste „richtige“ Grenze
Zugegeben: kurz vor unserer ersten „richtigen“ Grenze, raus aus der europäischen Union und hinein in die Türkei, schlug unser Herz auch ein wenig schneller und heftiger als sonst. Ehrfürchtig und beklommen betraten wir, unter dem strengen Blick Erdogans, die kühle, hellhörige und leere Zollabfertigungshalle an der Grenze zu Bulgarien. Von einem riesigen Porträt an der Wand gegenüber des Eingangs fixierte uns der türkische Präsident mit prüfendem Blick. Bisher waren alle Grenzübertritte absolut problemlos verlaufen. Immer wurden wir von freundlichen Zöllnern begrüßt, die sich mehr für unser Reisefahrzeug interessierten als für irgendwelche Schmuggelwaren, Waffen oder Drogen.
Hier in der Türkei sollte das anders sein, das hatten wir jedenfalls gehört. Umso begeisterter sind wir, als wir nur zehn Minuten später wieder ins Freie treten – in unseren Händen die abgestempelten Zollpapiere. Zwar war der Beamte nicht unbedingt der sympathischste auf dieser Fahrt, der Vorgang an sich verlief jedoch absolut reibungslos und ordnungsgemäß. Keine Gängeleien und vor allem: kein Schmiergeld.
Wenn die „Helper“ kommen
Einige Wochen später sind wir am anderen Ende der Türkei angekommen. An der Pforte zum Iran sieht die Sache anders aus: Hier fallen wir auf einen „Helper“ rein, der uns zwar angenehmerweise durch die unübersichtliche und eigentlich kostenlose Zollabfertigung schleust – uns am Ende aber Bakschisch in stattlicher Höhe abnehmen möchte. Es werden schweißtreibende, lange Verhandlungen mit verschiedensten Gesprächspartnern. Am Ende zahlen wir einen geringeren, als den verlangten, Betrag um frei zu kommen – um das viel zitierte Bakschisch kommen wir jedoch nicht herum!
Trotz aller Dramatik dieser Situation kann ich nach vielen zehntausend Reisekilometern und etlichen Grenzübertritten von keinem ähnlichen Fall berichten. Im Großen und Ganzen waren für uns, und wie wir auch aus Gesprächen mit vielen anderen Overlandern erfuhren, Momente mit korrupten Grenzbeamten äußerst selten oder sind überhaupt nicht vorgekommen.
„Und in Russland – da nehmt genügend Wodka und Bares mit“
Selbst nicht, als wir einige Zeit später nach Russland einreisen. „Nehmt genügend Wodka, Zigaretten und Bares mit – das werdet ihr dort brauchen, wenn ihr zügig voran kommen wollt!“ So hatte uns ein befreundeter Kenner des historischen Zarenreichs und der übrigen ehemaligen Ostblockstaaten auf unsere Reise vorbereitet. Auch hier begeben wir uns voller Spannung auf das Zollgelände und stellen uns auf zähe Diskussionen und stundenlange Prozeduren ein. In Wirklichkeit aber setzen wir unsere Fahrt nach gut zwei Stunden fort, nachdem uns ein freundlicher, junger Beamte in gutem Englisch durch die Formalitäten führte. Wieder ohne das leiseste Anzeichen von Korruption – wie übrigens auch während unseres weiteren Aufenthalts in diesem riesigen Land.
Vielerorts haben sich die Dinge geändert. In Russland beispielsweise wurden erst vor wenigen Jahren die Bezüge der Ordnungshüter erhöht und Bestechlichkeit unter empfindliche Strafen gestellt. Das Geschäft jenseits der Legalität wird riskant und zugleich weniger lohnend.
Warum manche Zöllner korrupt sind
Um die ganze Situation besser zu verstehen, ist es sinnvoll einen Blick auf die Gründe und die Akteure zu werfen. In vielen Ländern sind Polizisten und Zöllner schlichtweg schlecht bezahlt. Ein Zugewinn aus korrupten Machenschaften oder eigenen Schmuggelaktivitäten beim Grenzverkehr ist mitunter notwendig, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Kommt nun ein westlicher Tourist in seinem augenscheinlich teuren Geländefahrzeug angefahren, ist die Versuchung groß, die seltene Chance zu nutze, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Hierzu werden durch fadenscheinige oder erfundene Ordnungswidrigkeiten Bußgelder oder Gebühren verlangt – die natürlich in die eigene Tasche wandern. Trotzdem sind Zöllner auch nur Arbeitnehmer, die am liebsten ohne viel Stress und Ärger durch ihren Alltag kommen möchten – schnelles Geld ist also gefragt. Diese Erkenntnis hilft im Umgang mit einer entsprechenden Situation. Je nach Nervenkostüm und auch Dicke des Geldbeutels, gibt es daher verschiedene Strategien um mit solchen Beamten umzugehen.
5 Tipps zum Umgang mit korrupten Grenzbeamten
1. Man bezahlt ganz einfach
Der wohl reibungsloseste und einfachste Weg ist offensichtlich: Man geht auf die Forderung ein, bezahlt was immer verlangt wird und kann schon bald ohne viel Aufsehen weiter fahren. Für uns war das – wenn irgendwie machbar – nie eine Option, und zwar aus folgenden Gründen: Wer Schmiergelder widerstandslos akzeptiert und bezahlt, nimmt nicht nur in Kauf, dass sich aus den illegalen Machenschaften ein organisiertes, weil lohnendes Geschäft etabliert. Das Rechtsverständnis der Zöllner und Polizisten verschiebt sich, für sie wird der bestimmte Betrag extra zur Normalität. Man wird Wegbereiter für eine Struktur, die dazu führt, dass es nachfolgende Reisende immer schwieriger und unangenehmer antreffen werden. Zudem kann die Duldung dieser besonderen Kostenstelle auf Dauer ganz schön an der Reisekasse knabbern. Was also tun?
2. Sei der Ahnungslose
Die entsprechenden Beamten sind sich bewusst, dass ihr Handeln nicht rechtens ist und möglicherweise Strafen nach sich ziehen könnte. Daher haben sie ein gesteigertes Interesse daran, die Sache schnell über die Bühne zu bringen. Außerdem vergeht wertvolle Zeit, in der man ansonsten hätte jemand anderen „belangen“ können. Zeit haben wir Reisende aber – und zwar unendlich viel.
Daher ist es sinnvoll, sich diese Zeit zu nehmen und erst einmal die Papiere nicht zu finden und grundsätzlich gar nichts zu verstehen. Uns erzählte ein anderes Reisepärchen von einer Situation in Kasachstan, in der sie bei einer Polizeikontrolle eine unangepasste Strafe wegen einer nicht begangenen Ordnungswidrigkeit bezahlen sollten. Da die beiden sofort erkannten, was das Ziel dieser Kontrolle war, gaben sie sich freundlich – aber absolut unverständlich. Höflich lächelnd sprachen sie ruhig auf ihre Gegenüber ein, auch die eindeutigsten Gesten nicht verstehend. Nach zwanzig Minuten brausten die beiden Polizisten entnervt in ihrem Dienstwagen davon.
3. Ordnung muss sein: Besteht auf einen Beleg
Ist der Vorgang tatsächlich legal und begründet, dann wird dies auch ein Beleg oder Dokument bestätigen. Darauf solltet ihr bestehen und denkt an das Sprichwort: Zeit ist Geld. Als wir einmal aus Kambodscha ausreisten, wollte uns der Grenzer glauben machen, dass der EXIT-Vermerk im Pass extra kostet. Auf meine Frage, ob es dafür eine Quittung gäbe, sagte er „no receipt!“ Ich entgegnete ihm, dass es ohne Beleg auch kein Geld geben werde. Nachdem sich diese beiden Sätze einige Male wiederholt hatten und die Schlange am Schalter hinter mir allmählich länger wurde, schleuderte er mir den ordnungsgemäß gestempelten Pass entgegen und wir konnten unsere Fahrt fortsetzen.
4. Testet euer Verhandlungsgeschick
Das Mindeste was man versuchen sollte, ist zu verhandeln. In vielen Nationen jenseits der deutschen Grenze gilt Verhandeln und Feilschen zum Tagesgeschäft und ist in viele Kulturen fest verankert. Dies betrifft selbst Strafen und Bußgelder. Wir wurden in Georgien wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. Zu unserer Verwunderung zauberten die beiden Uniformierten tatsächlich eine Kameraaufnahme unseres Autos aus ihrem klapprigen Lada. Nachdem wir uns tatsächlich nicht verständigen konnten, wurde uns ein Handy gereicht. Am anderen Ende der Leitung erklärte uns eine Frauenstimme in gebrochenem Englisch, was wir zu bezahlen hätten. Obschon die Strafe hier wohl rechtens war, schienen die beiden einen ordentlichen Betrag für sich selbst eingeplant zu haben. Jedenfalls schien das Bußgeld astronomisch. Nachdem wir erklärten, nicht soviel Bargeld dabei zu haben, stieg die Dame in die Verhandlungen ein. Am Ende einigten wir uns auf weniger als die Hälfte. Man braucht nicht erwähnen, dass es keinen Strafzettel oder sonst einen Beleg gab.
5. Noch was für Nervenstarke: Werde kreativ!
Wer keine Auseinandersetzung scheut, kann versuchen, durch lautes Lamentieren und Beschweren seinen Gegenüber zu beeindrucken und die Aufmerksamkeit auf das Geschehen zu lenken. Erkundigt euch nach den Namen, macht Fotos von Dienstwagen und Kennzeichen, aber seid gefasst: Wer Wind sät, kann Sturm ernten. Möglicherweise geht der Schuss nach hinten los und ihr befindet euch am Ende in einer schlechteren Ausgangssituation als zuvor.
Ich selbst wurde erst einmal gegenüber einem Polizisten laut. Auf Sulawesi standen wir außerhalb eines Dorfes in recht unwegsamen Gelände. Es regnete in Strömen, der Boden war nass, schlammig und aufgeweicht. Dennoch hatte sich in absoluter Dunkelheit eine beträchtliche Gruppe neugieriger Männer um unser Auto versammelt, angeführt durch den vorsprechenden Polizisten.
Dieser wollte, dass wir hinauf in das Dorf fuhren – zu unserer eigenen Sicherheit, wie er erklärte. Uns war das Manöver unter den vorherrschenden Bedingungen zu riskant. Das Auto könnte auf dem glitschigen Untergrund und bei der Steilheit der Auffahrt zur Siedlung wegrutschen und dabei am Ende sogar einen der vielen Schaulustigen verletzen. Außerdem wollten wir nicht die ganze Nacht von den Dorfbewohnern belagert werden, die sich sehr für unsere ungewohnte Art zu Reisen und zu Übernachten interessierten.
Als sich das Gespräch im Kreis drehte und keine Lösung in Sicht kam, wurde ich bewusst lauter und deutlicher und verwies auf die Gefährlichkeit, verbunden mit der Frage, wer die Verantwortung dafür übernehmen würde, falls jemand verletzt würde? Die Gespräche in der Gruppe verstummten, die wenigsten hatten verstanden, was ich gesagt hatte und beobachteten gespannt das folgende Geschehen. Am Ende gestattete uns der Polizist, dort bleiben und erklärte den Leuten den Sachverhalt. Danach zogen alle ab und wir fanden endlich Ruhe.
Fazit zum Umgang mit Bakschisch
Grundsätzlich sollte Folgendes gelten: Begegnet den Ordnungshütern mit selbstverständlichem und freundlichem Respekt, anstatt mit Argwohn und Generalverdacht. Ich erinnere mich an viele Momente, wo unser eigenes Fehlverhalten aufgrund unserer Unwissenheit über lokale Regeln von einem Polizisten mit dem erhobenen Zeigefinger, einem Augenzwinkern und dem Wunsch einer guten Weiterreise „geahndet“ wurde. Nicht jeder Uniformierte ist ein Gangster, der seine positionsbedingte Übermacht willkürlich missbraucht, um an Bakschisch zu gelangen. Natürlich sind die Umstände auf jedem Kontinent und in jedem Land unterschiedlich.
Und dennoch: Ich bin mir sicher, am Ende wird die Zahl der hilfsbereiten und korrekten, nicht selten sogar begeisterten Begegnungen mit Bediensteten an den Grenzen, die Zahl jener, bei denen versucht wird, ein paar Dollar extra zu ergattern, um ein Vielfaches übersteigen. So wie bei uns und vielen anderen, die wir entlang des Weges um unsere Erde trafen.
Übrigens der Ausdruck Bakschisch stammt aus dem Persischen und bedeutet soviel wie „Gabe“ oder „Geschenk“. In vielen Ländern soll es üblich geworden sein, mit Bakschisch bzw. Schmiergeld Verwaltungsvorgänge zu beschleunigen.
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Mit Plan zur langen Offroad-Reise. Tipps zur Vorbereitung eurer Langzeitreise von Christian Ebener.
Titelbild: Christian Ebener, Bild Doreen Kühr