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Titelbild Interview Thomas Grütter
Titelbild Interview Thomas Grütter

Zur Abwechslung einmal Murmeltier – Thomas Grütter erzählt von seiner Reise durch die Mongolei

Eigentlich wollten Beatrice und Thomas nur ein paar Monate mit ihrem Santana nach Thailand zum Tauchen fahren. 13 Monate waren sie am Ende unterwegs. 75.000 Kilometer sind sie gefahren und haben dabei 56 Länder durchquert. Thomas erzählte uns, warum die Mongolei kulinarisch grenzwertig ist und wie sie es in Nepal nur soeben schafften, aus dem Land zu kommen.

Wie seid ihr auf die Idee zu der Reise gekommen?

Wir haben fast zehn Jahre lang für eine große Reise gespart. Ein konkretes Ziel hatten wir dabei nicht. Dann habe ich das Buch ‚Abgefahren: In 16 Jahren um die Welt‘ gelesen. Der Autor wollte in zehn Monaten mit seinem Motorrad nach Japan fahren und kam erst 16 Jahre später, nach einer Weltumrundung, zurück. Da dachte ich mir, dass kann ich auch. Meiner Frau gefiel die Idee. Unser Plan war zunächst mit dem Auto nach Thailand zu fahren, um dort zu tauchen.

Zwei Monate später habe ich mir einen neuen Santana gekauft. Drei Monate danach war das Auto komplett zerlegt. Dann hat es noch mal drei Jahre gedauert, bis der Wagen so aufgebaut war, dass wir losfahren konnten.

Du hast den Wagen komplett umgebaut, kannst du erzählen, was du alles verändert hast?

Auf unserer Webseite gibt es eine Liste mit den wichtigsten Umbauten. Insgesamt habe ich fast 200 Änderungen am Santana vorgenommen. Eigentlich bin ich gelernter Zimmermann, aber am Auto zu schrauben und das Bauen mit Metall haben mich schon immer fasziniert. Also habe ich mir die nötigen Techniken selber beigebracht.

Gut ein Dutzend der Umbauten waren eigene Konstruktionen von mir. So zum Beispiel das Hubdach, das wir vorne und hinten aufstellen konnten. Auch die Seilwinde, die vorne und hinten eingesetzt werden kann, ist eine Kreation von mir.

Das Armaturenbrett habe ich neu gebaut. Darin ist ein Laptop integriert, den wir hinter einer Klappe verstecken konnten, die so aussieht als wäre dahinter der Airbag. Von Verstecken dieser Art habe ich einige eingebaut für Alkohol, Medikamente oder unser Infusionsbesteck für den Notfall. Die Verstecke haben auch ganz prima funktioniert. Natürlich habe ich auch ein paar einfache gebaut, die bei Kontrollen gefunden werden sollten.

Die Inneneinrichtung habe ich ganz spartanisch mit einem System aus Boxen gemacht. Das hat sich auf der Reise bewährt, vor allem bei Kontrollen. Da konnten wir alle Kisten einfach rausziehen und vor dem Auto stapeln.

Als erstes seid ihr mit dem Wagen nach Thailand gefahren. Wie ging es dann weiter?

Wir sind über Russland, die Mongolei und China nach Thailand gefahren. Als wir in Thailand waren, haben wir Leute getroffen, die uns erzählten, dass es im Iran sehr schön sei. Dann haben wir gedacht, fahren wir einfach wieder zurück, statt den Santana zu verschiffen.

Wie viel Geld habt ihr auf der Reise ausgeben?

Pro Tag haben wir für zwei Personen um die 60 Euro ausgegeben. Da waren das Essen, Diesel, Reifen und Verschiffungen mit drin. Und China: Die Fahrt durch China alleine hat 10.000 Euro gekostet.

Durch China seid ihr alleine gefahren, wie ist es dazu gekommen?

Alleine durch China zu fahren, geht normalerweise nicht. Aber wir hatten einen Kontakt in China und die haben uns einige Tipps gegeben. Also haben wir eine Gruppe mit drei Fahrzeugen angemeldet. Unterwegs ist das dann ganz dumm gelaufen, so dass die anderen Fahrzeuge am Ende doch nicht mitkommen konnten. Also standen wir alleine an der Grenze zu China.

Die Beamten wussten anfangs nicht, wie sie damit umgehen sollten. Aber großen Handlungsspielraum haben die Chinesen nicht. Da wir schon Führerscheine, Kennzeichen und alle anderen Dokumente hatten, ließen sie uns dann doch alleine fahren. Einen Führer bekamen wir trotzdem.

Der fuhr bei uns im Auto mit und hat die ganze Zeit gelangweilt aus dem Fenster geschaut. Wirklich hilfreich war der Guide leider nicht. Nach zwei Wochen waren wir dann so genervt, dass wir ihn mehr oder weniger auf die Straße gesetzt haben. Zwei Tage später kam ein neuer Guide, mit dem haben wir uns auf Anhieb verstanden.

Musstet ihr für den Guide in China auch die Hotels bezahlen?

Als wir in Shanghai und in Peking unterwegs waren, durften wir nicht im Auto schlafen, sondern mussten ein Hotel nehmen. Die Hotels in China sind oft vom Militär geführt und wir mussten alle Dokumente abgeben. Die Übernachtung kostete zwischen 10 und 20 Euro. Die Chinesen wissen immer ganz genau, wo man ist. Für den Guide mussten wir das Zimmer immer bezahlen.

Wenn wir unserem Begleiter abends um sieben Uhr gesagt haben, wir gehen jetzt schlafen, dann ist er auch ins Bett gegangen. Meistens sind wir dann noch mal weggegangen, ohne den Guide.

Ihr hattet auch einen chinesischen Führerschein, wie habt ihr euch den besorgt?

Das macht alles eine Agentur in China. Die besorgt Führerscheine, Kennzeichen und sämtliche Dokumente. Für jede Provinz brauchten wir eine eigene Bewilligung. Auf den chinesischen Kennzeichen war vermerkt, an welchem Tag wir uns wo aufhalten durften. Die Polizei hat das auch immer genau überprüft, schließlich ist das für die eine gute Gelegenheit Geld zu verdienen. Von den Beamten, die wir trafen, waren viele korrupt.

Der Führerschein wurde für uns einfach so ausgestellt, eine zusätzlich Prüfung war nicht nötig.

Korruption scheint in vielen Ländern ein Problem zu sein. Wie seht ihr das?

In Bhutan ist eine Abgasuntersuchung Pflicht. Wer die nicht hat, muss ein Bußgeld bezahlen, das genauso hoch ist, wie der Abgastest selbst. Den Test muss man nach Zahlung des Bußgeldes dann nicht nachholen.

In China hatten wir einen getürkten Verkehrsunfall. Ein Auto hat uns gerammt, aber wir waren laut Polizei schuld, weil wir einfach da waren. Wären wir nicht dort gewesen, wäre der Unfall nicht passiert. Das ging soweit, dass die Polizei unser Fahrzeug beschlagnahmen wollte. Dann blieb uns nichts anderes übrig als den Schaden zu bezahlen. Der eigentliche Unfallverursacher hat dann umgerechnet 15 Euro bekommen.

Ihr habt euch in den Ländern, in denen ihr wart, sehr gut vernetzt. Wie habt ihr das angestellt?

Wenn man unterwegs ist, hört man viele Gerüchte. Wir sind am besten damit gefahren, die Einheimischen zu fragen. Das funktioniert nur, wenn man sich auf die Kultur und die Leute einlässt. Als Handwerker fiel es mir natürlich leicht, Kontakte zu anderen Handwerkern zu knüpfen. Die fanden es immer gut, dass es mir nichts ausmacht auch mit anzupacken.

Wichtig ist auch, das zu essen, was die Einheimischen essen. Auf diese Weise sind wir immer schnell mit den Leuten in Kontakt gekommen.

Was glaubst du, welche Fähigkeiten sind auf einer langen Reise besonders nützlich?

Handwerkliches Geschick und Improvisationstalent. Insbesondere in der Mongolei. Dort ist man nicht überlebensfähig, wenn man sich nicht zu helfen weiß. Bereits in der Ukraine haben wir aufgehört, auf originale Ersatzteile zu hoffen. In der Mongolei haben wir neue Blattfedern mit der Hand geschmiedet.

Die physische und psychische Belastung in der Mongolei ist extrem hoch. Die schönen Bilder, die man immer aus der Mongolei sieht, trügen. Das Leben ist dort unglaublich hart.

Kannst du etwas über eure Zeit in der Mongolei erzählen?

Wir wollten eigentlich nur einen Monat durch die Mongolei fahren. Allerdings wurde im letzten Moment unsere Bewilligung für China, wegen der Olympiade, um einen Monat nach hinten verschoben. Also sind wir zwei Monate in der Mongolei geblieben.

Die Mongolei ist dreißigmal so groß wie die Schweiz, hat aber insgesamt nur ungefähr 500 Kilometer asphaltierte Straße. Also mussten wir so gut wie jeden Tag offroad fahren. Irgendwann macht das keinen Spaß mehr. 120 Kilometer werden plötzlich zu einer ganzen Tagesetappe. Das ist schon anstrengend.

Bei Zeltansammlungen in der Mongolei gibt es meistens eine Quelle. Wenn aber die Person, die die Quelle bedient, gerade in Ulan-Bator ist, dann kommt sie vielleicht erst in zwei Wochen wieder. Da wird die Wasserbeschaffung plötzlich zum Problem.

Wenn wir Fleisch für das Essen brauchten, sind wir nicht zum Metzger gegangen. Sowas gibt es da nicht. Die Mongolen gehen direkt zum Schäfer und kaufen ein Schaf. Das haben wir auch gemacht. Und wenn du ein richtiger Mann sein willst, musst du das Schaf auch noch selber schlachten.

Wirst du eingeladen, dann hast du das Vergnügen, mit dem Dorfältesten den Schafskopf inklusive der Augen zu teilen. Alles Erfahrungen, die zu einer Reise dazugehören, die aber auch sehr anstrengend sein können.

Die mongolische Küche ist katastrophal. Gemüse gibt es nur selten oder gar nicht. Das Essen ist auf der Basis von Schaf: Schafsfleisch, Schafsmilch, Schafskäse. Aus der Milch wird auch noch Schnaps gemacht. Um die Milch haltbar zu machen, stellen die Mongolen sie in die Sonne. Alles stinkt nach Schaf.

Nachdem wir einen Monat lang nur Schaf gegessen hatten, war unser Bedarf an Schaf gedeckt. Während der gesamten Zeit haben wir das halbe Schaf in unserer Kühlbox transportiert. Die ganze Bettwäsche hat nach Schaf gestunken. Dann haben wir jemanden getroffen, der uns zum Essen einlud. Er sagte uns, es gäbe heute eine Spezialität: Murmeltier.

Also aßen wir Murmeltier, was für unsere Geschmacksnerven äußerst grenzwertig war. Das Fleisch bestand fast ausschließlich aus Fett. Dazu hat uns das Murmeltier bis zur letzten Minute aus dem Topf angelacht, weil auch der Kopf mitgekocht wurde. Ein intensives und bleibendes Erlebnis.

Nach dieser Erfahrung, fuhren wir weiter nach Süden und hofften auf eine kulinarische Abwechslung. Doch statt dessen erwarteten uns die gleichen Gerichte nur mit Kamel: Kamelfleisch, Kamelmilch, Kamelkäse und so weiter. Die Mongolei ist für die Geschmacksnerven auf jeden Fall eine Herausforderung.

Aber ihr hattet sicher auch schöne Erlebnisse auf der Reise. Könnt ihr davon berichten?

Bhutan war sehr eindrucksvoll. Ein kleines, wunderschönes Land eingepfercht zwischen China und Indien. Im Gegensatz zu diesen beiden Staaten ist in Bhutan alles piekfein und die Menschen sind sehr naturverbunden.

Auch Russland hat uns positiv überrascht. Einige Leute haben uns vor Russland gewarnt. Wir hatten dort eine tolle Zeit. Das Altai-Gebirge ist großartig. Das Kyrillische lernt man schnell und selbst die Polizei war sehr nett. In 14 Tagen hatten wir 19 Kontrollen. Viele Russen sammeln Geld, wie andere Briefmarken. Für sie ist das kein Schmiergeld, sondern ihr Hobby ist Geldsammeln. Mit einer guten Portion Humor und Geduld, kommt man in Russland sehr weit.

Von den Menschen her hat uns Pakistan sehr gut gefallen. Die Leute sind dort unglaublich gastfreundlich. Auch wenn wir offensichtlich mehr hatten als sie, wurden wir immer wieder zum Essen eingeladen. Nirgendwo wurden wir belästigt oder angebettelt. Ähnlich schöne Erfahrungen haben wir in den kurdischen Gebieten der Türkei gemacht.

Gab es auch Situationen in denen ihr Angst hattet?

Die für uns gefährlichste Situation haben wir in Nepal erlebt. Das Hochland ist wunderschön, aber die Leute im Flachland haben enorme Probleme. Davon bekommt man bei uns nichts mit.

Als wir dort waren, standen die Nepalesen kurz vor einem Bürgerkrieg. Es gab Ausgangsperren und am nächsten Tag sollte für zwei Wochen alles dicht gemacht werden. Also mussten wir in einer Nacht 800 Kilometer bis zur Grenze zurücklegen und passierten dabei insgesamt 14 Straßensperren.

Das Militär hat uns jedes Mal durchgelassen. Dann standen wir vor einer Sperre von Aufständigen, die mit Molotow-Cocktails bewaffnet waren. Das war schon sehr kritisch. Dort haben wir dumme Touristen gespielt, mit einer Karte gewedelt, sie nach dem Weg gefragt und um Hilfe gebeten. Das hat schon einiges an Überwindung gekostet.

Was sind eure nächsten Ziele?

Unser Traum wäre nach Südafrika zu fahren, von dort den Wagen nach Patagonien zu verschiffen und dann nach Alaska. Allerdings ist das wegen der Lage in Nordafrika und dem Nahen Osten gerade nicht einfach. Andererseits zieht es uns auch immer wieder nach Südostasien. Die Stan-Staaten stehen auch noch auf unserer Wunschliste. Und was mich wirklich noch interessieren würde, wäre die Seidenstraße.

Über Thomas Gütter: Thomas ist gelernter Zimmermann und baut heute als hauptberuflicher Konstruktionstechniker Zubehör für den Amarok. Dabei sind die Erfahrungen, die er auf seiner Reise gemacht hat, von unschätzbarem Wert. Weitere Fotos und Anekdoten von der Reise gibt es hier.