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zwischen Okzident und Orient

Unterwegs zwischen Okzident und Orient

Teil 2: Vom Bosporus in den Kaukasus

Der Geruch von Gewürzen liegt in der Luft. Wir haben mittlerweile Mitte September und ich bin gerade in Mardin angekommen. Ich schlendere durch die engen Gassen des Basars der Stadt. Ich lasse mich in einem der vielen kleinen Restaurants nieder, bestelle etwas aus der heimischen Küche und denke zurück an die bisherige Reise zwischen Okzident und Orient.

Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Die Besitzerin des kleinen Restaurants stellt sich vor. Ich nutze die Gelegenheit mehr über die Stadt, die Geschichte der Region und das Leben hier zu erfahren. Mardin ist eine Kleinstadt im türkischen Teil Mesopotamiens rund 20 Kilometer von der Grenze zu Syrien und nicht weit vom Irak entfernt. Die Stadt thront hoch oben auf einem Hügel nahe des Tigris und von hier aus hat der Besucher, wenn einmal die steilen Treppen erklommen sind, einen wirklich tollen Ausblick in die Tiefebene. In Mardin leben etwa 50.000 Menschen unterschiedlichster Herkunft und Volksgruppen sowie Religionszugehörigkeiten heute friedlich zusammen. Darauf sei sie besonders stolz, so erzählt sie mir.

Vom Bosporus in den Kaukasus

Die Nordtürkei habe ich schnell hinter mir gelassen. Groß war der Drang endlich in den Kaukasus zu gelangen. Ich wähle wie schon auf einer früheren Reise den großen Grenzübergang im Westen des Landes bei Batumi und in kürzester Zeit bin ich in Georgien.

Georgien haben meine Freundin und ich bereits in 2018 ausgiebig bereist. Damals waren wir auf der Rückreise aus Zentralasien und Russland. Ich habe das Land und die Menschen hier in sehr guter Erinnerung und freue mich auf die kommenden Tage. Wie mag sich das Land in den letzten sechs Jahren wohl verändert haben? Ich bin sehr gespannt.

Immer weiter schraubt sich die kleine unbefestigte Bergstraße in die Höhe. Ich halte hier und da an, mache ein paar Fotos. Bald ist die Passhöhe erreicht und ich nähere mich einem Checkpoint. Dort werde ich freundlich empfangen und bin vermutlich eine willkommene Abwechslung in der Einsamkeit hier oben. Der Polizist spricht mich auf Russisch an und ich krame ein paar russische Worte aus meinem Gedächtnis hervor. Das freut ihn, ich händige ihm meinen Pass zur Kontrolle aus und kurze Zeit später kommt er damit auch schon wieder zurück und wünscht mir eine gute Weiterreise. Solche Checkpoints in der Nähe kritischer Infrastruktur werde ich die nächste Zeit noch mehr sehen. Das ist schon mal anders als noch vor ein paar Jahren.

Abseits der Hauptwege gibt es viele schöne Strecken zu entdecken.

In den letzten Tagen ist die Idee gereift, zunächst ein paar Bergstrecken im Süden des Landes unter die Stollen zu nehmen, die wir beim letzten Besuch dieses tollen Landes nicht gesehen haben, der Hauptstadt Tiflis einen Besuch abzustatten und dann zunächst das für mich noch unbekannte Nachbarland Armenien zu entdecken. Doch der Reihe nach.

Georgische Gastfreundschaft und Großstadtleben

An einem Abend, es ist schon spät geworden, komme ich auf einem kleinen Campingplatz an. Freundliches Hallo, eine große Wiese mit Obstbäumen, gute sanitäre Anlagen, alles prima. Ich klappe mein Dach auf und mache es mir mit einem Kazbegi im Campingstuhl gemütlich. Das Bier trägt den Namen der Region Kazbegi im Großen Kaukasus und Norden Georgiens mit dem bekannten Ort Stepantsminda. Durch diesen führt die berühmte Georgische Heerstraße welche Russland und Georgien verbindet. Über diese Route waren wir 2018 nach Georgien gekommen.

Kurze Zeit später steht die Betreiberin des Platzes an meinem Auto und ich bekomme leckeres Chatschapuri und Tee gereicht. Frisch zubereitet. Die georgische Gastfreundschaft wie ich sie schon von der anderen Reise kenne. Wunderbar! Chatschapuri ist ein gebackenes Käsebrot, einfach herrlich und gerade richtig nach einem langen Fahrtag. So lasse ich den Tag gemütlich ausklingen.

Die Ruhe vor dem Großstadttrubel.

Für die Weiterfahrt am nächsten Tag wähle ich zunächst kleine Bergstraßen. Das macht einfach Spaß hier in Georgien. Es gibt abseits so viel zu entdecken, die kleinen Orte sind nicht überlaufen und die Bergluft herrlich erfrischend. Das tut gut bevor ich mich in den Großstadtdschungel stürze.

Über Nebenstrecken nähere ich mich der Hauptstadt.

In und um die Hauptstadt Tiflis sind, ähnlich wie in vielen anderen großen Städten, in den letzten Jahren typische Overlander-Treffpunkte entstanden und manche auch wieder geschlossen. Ich schlängele mich in der Feierabendverkehrszeit durch das Großstadtgewühl und komme schließlich an einem solchen Platz an. Derartige Stellplätze wähle ich gern in Städten, denn zum einen kann ich dort das Fahrzeug stehen lassen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Stadt erkunden, zum anderen sind sie auch beliebte Orte um sich mit anderen Reisenden auszutauschen und sich bei Problemen gegenseitig zu unterstützen.

Großstadtdschungel und Moderne

Kaum angekommen mache ich Bekanntschaft mit einem anderen Gast. Einem Motorradreisenden. Ich bin selbst jahrelang mit Motorrädern auf Reisen unterwegs gewesen und so kommen wir schnell ins Gespräch. Schnell ist auch klar, dass das Motorrad ein größeres elektrisches Problem hat, welchem wir nun mit vereinten Kräften und Werkzeug- sowie Ersatzteilsortimenten den Kampf ansagen. Es macht immer wieder Freude zu sehen, wie sich Reisende gegenseitig helfen. Gemeinsam ist das Problem zeitnah behoben und wir können uns den wirklich wichtigen Dingen zuwenden, einem leckeren Abendessen mit tollen Gesprächen.

Da es abends dann doch sagen wir mal etwas später geworden ist, bin ich am nächsten Morgen erst spät auf den Beinen. Ein entspannter Tag in der Stadt kommt da genau richtig. Ich beschließe mit der U-Bahn in die Innenstadt zu fahren und ein wenig Hauptstadtflair zu schnuppern. Tiflis hat genau dieses Flair. Ich kann gar nicht genau sagen, was diese Stadt so sehenswert macht, doch viele andere Reisende bestätigen dieses Gefühl.

Steil geht die Rolltreppe in den U-Bahnschacht hinunter. Diese Stationen noch aus Sowjet-Zeiten finde ich immer wieder spannend. Die erste Strecke der Metro Tiflis wurde bereits Mitte der 1960er Jahre eröffnet, heute gibt es zwei Linien mit über 20 Stationen. Nicht nur die Wagons sind modernisiert, haben sogar USB-Ladebuchsen an den Sitzplätzen, nein, auch das Bezahlsystem ist mit einem Kartensystem modern und in einzelnen Stationen gibt es zudem freies WiFi. Willkommen im modernen Georgien.

Die Metro bringt mich einfach und schnell in die Innenstadt zum Freiheitsplatz

Der Freiheitsplatz, welcher in der Geschichte verschiedene Namen trug, war immer wieder Schauplatz politischer Veränderungen in Georgien. Sei es das Massaker von Tiflis, als ein Aufstand in den 1950er Jahren blutig niedergeschlagen wurde oder die friedliche Rosenrevolution im Jahr 2003.

Vom früheren Besuch in Tiflis kenne ich mich noch ganz gut aus in der Metropole und schlage schnurstracks den Weg vom Freiheitsplatz in Richtung des Flusses Mtkawari ein und überquere diesen auf der Friedensbrücke um kurz darauf die Seilbahn in den oberen Bereich der Stadt zu erreichen. Die Friedensbrücke ist eine bogenförmige Fußgängerbrücke über die Mtkwari. Die 150 Meter lange, überdachte Brücke ist ein architektonisches Meisterwerk und wurde erst 2010 eröffnet. Sie verbindet die Altstadt mit einem Park auf der anderen Seite des Flusses.

Ausblick über die Hauptstadt mit der Friedensbrücke.

Aus der Gondel der Seilbahn bietet sich ein toller Ausblick weit über die Stadt hinweg und in Windeseile erreiche ich die Bergstation. Von hier oben ist regelrecht auffallend wie Grün die Stadt ist. Hier befindet sich auch die Statue Mutter Georgiens, der botanische Garten und die Festung Nariqala aus dem dritten Jahrhundert, welche zu diesem Zeitpunkt leider wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen ist.

Geschichte und Gegenwart

Ich laufe gern etwas abseits der Touristenströme und so bewege ich mich ein wenig entlang des Panoramaweges und mache mich dann zu Fuß auf den Weg in die Innenstadt zurück. In den Straßen und Gassen fallen die vielen Graffitis mit Europa- und NATO-Flaggen auf. Es tut sich etwas im Land, das ist ganz deutlich spürbar. Ich komme zufällig am Informationsbüro zur EU und NATO vorbei. Leider ist es geschlossen. Ich hätte mich hier gerne informiert und mehr über die Entwicklungen im Land erfahren.

Nun, dann laufe ich wieder in Richtung Freiheitsplatz und genieße die Georgische Küche noch in einem der vielen Restaurants. Auf dem Rückweg zur Metrostation komme ich am Nationalmuseum vorbei, das nehme ich auch noch mit. Das Nationalmuseum befindet sich in der Nähe des Parlamentsgebäudes, welches jüngst durch die pro Europäischen Demonstrationen in die Schlagzeilen gekommen ist. Im Nationalmuseum geht es – wie der Name schon sagt – um die Geschichte des Landes. Und diese reicht sehr weit zurück. Für einen Besuch solltet ihr also einiges an Zeit einplanen. Einen Teil nimmt die Aufarbeitung der Gräueltaten aus der sowjetischen Besatzungszeít ein. Vieles macht fassungslos und so bin ich wieder einmal dankbar heute hier einfach entspannt die Stadt auf einer tollen Reise genießen zu können.

Hoch oben wacht die Mutter Georgiens über der quirligen Stadt.

Abends sind neue Gäste im Treffpunkt angekommen und wir haben wieder einen tollen Abend zusammen. Am nächsten Tag entscheide ich mich daher noch eine weitere Nacht zu bleiben. Das ist das Schöne daran, wenn wir als Reisende keinem festen Zeitplan folgen müssen.

Die Neugier nach Neuem siegt dann doch

Ich freue mich und bin sehr gespannt was mich in Armenien erwartet. Über das Land habe ich schon viel gehört und gelesen. In Verbindung mit Armenien fallen häufig die Begriffe Berge, Klöster, Erdbeben und Krieg. Es ist ein Land mit einer sehr langen und bewegten Geschichte und doch so viel mehr als durch diese Begriffe gesagt werden kann.

Von Tiflis zur Grenze ist es nur etwa eine Stunde Fahrt. Ich habe keinen genauen Plan wie ich Armenien bereise, nur ein paar Ziele im Kopf. Also nehme ich für die Einreise einfach mal den Grenzübergang Bagratashen – Sadakhlo ganz im Osten des Landes. Die Ausreise aus Georgien geht zügig, die Einreise nach Armenien dauert etwa zwei Stunden. Das liegt zum einen am hohen Verkehrsaufkommen an diesem Tag, zum anderen daran, dass das Fahrzeug temporär importiert werden muss und der Beamte dafür die Daten mühsam von Fahrzeugschein abtippen muss. Das geht auch besser, bei anderen, die hier einreisen, sehe ich Fahrzeugpapiere in Kartenformat, die ruck zuck eingelesen werden. Und auch diese Grenze ist irgendwann geschafft. Ich stoppe noch kurz darauf an einem der Bürocontainer und schließe die verpflichtende Haftpflichtversicherung für das Auto ab.

In den nächsten Wochen fahre ich kreuz und quer durch ein überaus spannendes Land

Armenien ist neu für mich und um das Land besser kennenzulernen setze ich auf eine flexible Route, spontane Abstecher aufgrund von Tipps die ich unterwegs bekomme und bleibe einfach dort wo es mir gefällt und es etwas Spannendes zu entdecken gibt. So kann ich mich am besten auf Land und Leute einlassen. Das hat sich in den letzten Jahren bewährt. Ich erfahre viel über das Land und die Menschen die hier leben. Die Verständigung funktioniert manchmal auf English ganz gut. Viele Armenier sprechen aus der Historie heraus gut Russisch und freuen sich, wenn der Reisende so ein paar Worte mit ihnen wechseln kann. Alles andere geht prima mit Mimik und Gestik, das funktioniert erfahrungsgemäß überall auf der Welt ganz wunderbar.

Klosteranlagen aus längst vergangenen Zeiten fügen sich in das Landschaftsbild ein

Armenien umfasst keine 30.000 Quadratkilometer und hat nur etwa 3 Millionen Einwohner, doch ich vermute, die höchste Dichte an Klöstern in einem Land. Nach wie vor vorherrschende Religion ist das orientalisch-orthodoxe Christentum der Armenischen Apostolischen Kirche. Das Christentum ist in Armenien sehr tief verwurzelt.

Auch die geographische und politische Lage des Landes ist überaus interessant und hat in der Geschichte immer wieder zu Konflikten und Kriegen geführt. Heute grenzt das Land im Norden an Georgien, aus dem ich gerade eingereist bin, im Süden an den Iran, im Osten an Aserbaidschan und im Westen an die Türkei. Offene Grenzübergänge für uns Reisende auf dem Landweg gibt es zum Zeitpunkt meiner Reise nur mit dem Iran und mit Georgien.

Armenien ist ein sehr gebirgiges Land. Rund 90 Prozent der Fläche liegen über 1.000 Metern Höhe und zahlreiche Canyons durchqueren das Land. Die Landschaft ist durch seismische Aktivität bei Verschiebungen der Eurasischen Platte mit der Arabischen Platte immer wieder Veränderungen und Erdbeben ausgesetzt.

All das ist interessant und spannend und doch wie schon erwähnt, ist das Land so viel mehr.

Im Nordosten des Landes liegt der Sewan See

Im schwindenden Tageslicht erkunde ich das Kloster Haghpat. Dies befindet sich im Norden des Landes und ist trotz seiner Gründung im 10. Jahrhundert im bemerkenswerten guten Zustand. Besonders faszinierend sind die große Vorhalle und die zahlreichen gravierten Kreuzsteine rund um das Kloster. Alles ist frei zugänglich und so stöbere ich eine Weile in und um die Gebäude herum. Rund um das Kloster liegt ein kleiner Ort, dessen Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft zu leben und sicherlich nicht zu den privilegierten Menschen im Land zu gehören scheinen.

Auf dem Weg zurück zum Landy gehe ich in eines der kleinen Ladengeschäfte und schaue, ob ich noch etwas für das Abendessen finde. Der Laden hat hinter dem Tresen ein paar Kleinigkeiten des täglichen Bedarfes und ich entscheide mich für zwei Dosen Bier. Hinter der Kasse steht ein etwa sieben jähriges Mädchen. Ich ersuche mich mit Gestik und ein paar Worten in verschiedenen Sprachen freundlich zu verständigen, sie antwortet mir perfekt auf English. So einfach kann es manchmal sein.

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Das Kloster Haghpat im Norden Armeniens zählt zu den UNESCO-Weltkulturerben.

Eine kurvenreiche Strecke liegt vor mir welche immer wieder tolle Aussichten freigibt

Von einem Bewohner bekomme ich am nächsten Morgen noch zahlreiche Tipps für meine Weiterreise durch Armenien. Ich fühle mich schon jetzt wohl und willkommen hier, verlasse das historische und belebte Martuni am südlichen Ufer des Sewan Sees und begebe mich auf die Selim Pass-Straße.

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Der Sewansee ist der zweitgrößte Gebirgssee der Welt.

Die Straße ist gut asphaltiert und so ist die Passhöhe schnell erreicht. Schon geht es die Serpentinen hinab ins Tal. Oha, was ist das. Als ich um eine Haarnadelkurve herumbiege, erspähe ich ein kleines, offenbar schon sehr altes Gebäude am Wegesrand. Das muss ich mir mal genauer anschauen.

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Hoch hinauf geht es auf der Selim Pass-Straße.

Die Orbelian-Karawanserei wurde im 14. Jahrhundert erbaut und bot den Karawanen entlang der Seidenstraße Schutz und Herberge. Sie gilt heute als am besten erhaltene Karawanserei in Armenien und gut erhalten ist sie wahrlich, wurde sie doch Mitte des 20. Jahrhunderts restauriert. Der Eingang weist Verzierungen und Inschriften im Gestein auf. Ich betrete das Gebäude durch die Vorhalle und muss mich zunächst an die Lichtverhältnisse im Inneren gewöhnen. Das Gebäude ist aus Basaltblöcken erbaut. Hier konnten Mensch und Tiere nach langen Märschen ausruhen. Sogar die steinernen Waser und Futter Tröge sind heute noch sichtbar.

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Ich schlendere einige Zeit durch die Hallen der Karawanserei und stelle mir vor wie es wohl damals hier ausgesehen hat.

Als ich das Gebäude verlasse, kreisen Adler in der Luft. Was für ein tolles Land Armenien doch ist!

Auch heutige Reisende benötigen einmal eine Rast

Wie gerufen kommt da der Campingplatz am Südfuß der Pass-Straße. Den Abend hier verbringe ich mit einem Motorradreisenden, den ich schon mehrfach auf der Reise getroffen habe. Er ist auf dem Weg nach Indien und weiter nach Australien. Das ist sicherlich auch eine spannende Reise und so bekomme ich immer wieder neue Ideen, was es noch alles zu entdecken gibt. Wir besorgen uns am nahegelegenen Kiosk etwas zu Essen und zu Trinken und lassen den Reisetag bei Erzählungen ausklingen. Auf dem Platz verweile ich ein wenig und treffe die nächsten Tage ein paar andere Reisende. Wir haben eine gute Zeit bevor jeder wieder seinen eigenen Routen folgt.

Was mich bei Gesprächen mit Armeniern immer wieder berührt und fasziniert hat, ist die Resilienz der Menschen hier. Schauen wir allein in die Geschichte des Landes, bekommen wir sicherlich nur eine vage Idee was dieses Volk über die Jahrhunderte bis in jüngste Vergangenheit immer wieder an Unterdrückung, Eroberungen, Kriegen sowie Naturgewalten erfahren hat. Als ich einen jungen Armenier, der teils vom Tourismus lebt anspreche, dass ich wenig Touristen im Land sehe, sagt er mir, dass ihn nach dem jüngsten Konflikt um Berg-Karabach, der Gebietsabtretung mit vielen Binnenflüchtlingen die untergebracht werden mussten, zwei Jahre ausbleibendem Tourismus wegen Covid und den schweren Überschwemmungen im vergangenen Jahr, nichts dergleichen mehr beeindrucken könne und es schon immer irgendwie weitergehen würde. Dabei strahlt er eine überaus positive Lebensfreude aus.

Den Süden möchte ich natürlich auch noch sehen und fahre Richtung Grenze zum Iran

Dies geht übrigens nur auf dieser Route, da die Armenier in Windeseile eine neue Straße gebaut haben. Die alte Strecke führt durch jetzt Aserbaidschanisches Staatsgebiet. Ich drehe eine Runde durch ebenfalls wunderschöne Berglandschaften, schaue noch ein weiteres Kloster an und mache mich dann wieder auf den Weg in den Norden. Die Hauptstadt Erewan ruft.

Auch der landschaftlich tief zerklüftete Süden des Landes ist interessant.

Doch so schnell geht es nicht. Vom Iran kommend keuchen lange Kolonnen uralter und mit Treibstoff beladener LKW die Bergstraßen hinauf. Und dies mit etwa 10km/h. An ein Überholen ist an vielen Stellen aufgrund der kurvenreichen Straßenführung nicht zu denken.

Bevor ich tags darauf in der Hauptstadt ankomme, erhasche ich noch einen Blick auf den Ararat und mache einen kleinen Abstecher zum Kari See. Dieser See liegt auf etwa 3.000 Metern Höhe auf einem Hochplateau am Vulkan Aragaz. Diesen Tipp hatte ich unterwegs bekommen. Es handelt sich zwar um eine Sackgasse, doch es lohnt sich wirklich. Oben angekommen tut sich eine fast alpin anmutende Landschaft auf und ich fühle mich zurückerinnert an den Start dieser Reise vor einigen Wochen. Ich genieße noch ein wenig die frische und kühle Bergluft bevor ich mich in die Hitze und das Getümmel der Stadt stürze.

Die Straße am Vulkan Aragaz führt zum Kari See auf über 3.000 Meter Höhe.

Die Hauptstadt Erewan

Der Campingplatz im Osten außerhalb der Hauptstadt Armeniens ist bekannt unter Reisenden. Hier tut sich eine regelrechte Oase der Ruhe auf. Der Platz lädt ein für ein paar Tage zu pausieren, am großen Pool zu entspannen, sich um den Reisealltag zu kümmern und mit anderen Reisenden auszutauschen. Der Platz ist ein Knotenpunkt für Reisende aus allen Himmelsrichtungen und so ergeben sich interessante Gespräche in den nächsten Tagen. Zudem ist der Ort ein idealer Ausgangspunkt um Erewan zu besichtigen.

Und genau das ist mein Plan. In die Stadt sind es ein paar Kilometer und am einfachsten erscheint mir die Fahrt mit dem Taxi, welche nahezu eine Stunde dauert. Gesagt getan. Morgens holt mich der Fahrer zusammen mit anderen Reisenden am Campingplatz ab und bringt uns zuverlässig und sicher in die Stadt. Auch hier habe ich keinen genauen Plan, finde ich es doch viel spannender einfach, ein paar Anlaufpunkte im Kopf habend, durch die Stadt zu streifen und alles zu erkunden.

Einen Punkt den ich im Kopf habe sind die Kaskaden von Erewan. Dieser Treppenkomplex ist etwa 120 Meter hoch und 50 Meter breit und nach dem Aufstieg soll der Besucher mit einem tollen Blick über die Stadt belohnt werden. Dies erscheint mir als lohnenswertes Ziel für den Einstieg in eine Besichtigung der Stadt. Und ich werde nicht enttäuscht. Der Aufstieg ist an diesem warmen Sommertag zwar etwas mühsam, denn die Kaskaden sind zwar wie erwähnt nur rund 10 Meter hoch, aufgrund der Neigung der Treppen mit fast 600 Stufen ergibt sich jedoch ein Weg von etwa 300 Metern. Von hier oben habe ich einen tollen Ausblick über die Stadt. Im Inneren des Komplexes gibt es übrigens auch Rolltreppen.

Die Kaskaden von Erewan sind wunderschön angelegt und geben einen tollen Ausblick über die Stadt.

Auf dem Weg zur Mutter Armeniens

Damit sich der Aufstieg auch lohnt, laufe ich noch ein Stückchen weiter durch den Victory Park. Der Park selbst ist ein Vergnügungspark. Hier findet sich von Imbissbuden, über Fahrgeschäfte bis hin zu Schießbuden alles Mögliche für den Zeitvertreib. Eine Anlage wie wir es aus vielen ehemaligen Sowjetrepubliken kennen. Doch der Park ist gar nicht mein Ziel.

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Durch den Victory Park laufe ich zur über die Stadt wachenden Mutter Armeniens.

1962 wurde hier oben die nach dem zweiten Weltkrieg errichtete Stalin-Statue abgebaut und 1967 durch das Monument der Mutter Armeniens ersetzt. Diese Statue ist 22 Meter hoch und thront auf einem Sockel. Die Mutter Armenien ist eine weibliche Personifikation Armeniens und soll Frieden durch Stärke symbolisieren.

In dem Sockel der Statue befindet sich das Armenische Militärmuseum

Das interessiert mich und als ich in die Eingangshalle eintrete werde ich freundlich von einer Museumsmitarbeiterin empfangen. Sie führt mich durch das Museum und ich bekomme abermals einen Eindruck von der bewegten Geschichte dieses kleinen Landes. Zum Abschluss der Führung fragt sie mich aus welchem Land ich komme. Deutschland erwidere ich. Dann möchte sie mir noch etwas zeigen. Sie führt mich zum Rand der Eingangshalle, dort befindet sich eine Vitrine. In dieser Vitrine sehe sich ein aufwändig gestaltetes Modell der Schlacht um Berlin. Ein ähnliches Exponat habe ich zuletzt vor vielen Jahren in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, gesehen. Und auch jetzt stellt sich die gleiche Nachdenklichkeit ein. Ich frage ob ich es fotografieren darf, aber natürlich.

Der Eintritt in das Museum ist übrigens kostenfrei. Ich bedanke mich für die nette Führung und lasse gern eine Spende da. Die Geschichte ist allgegenwärtig. Im Außenbereich der Anlage brennt eine ewige Flamme der Erinnerung. Viele Armenier haben im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Roten Armee gekämpft und wurden verwundet oder sind gefallen. Ich setze meine Kappe ab und halte inne. Eine verrückte Welt denke ich mir und bin doch dankbar für den Moment.

Die ewige Flamme am Monument verlasse ich nachdenklich und mit Demut.

Ich schlendere noch ein wenig durch die Stadt

Die vielen schön angelegten Parks mit Grünflächen und Brunnen haben es mir angetan. Vielleicht liegt es an dem warmen Sommerwetter vielleicht suche ich auch einen Kontrast zur bedrückenden Geschichte. Doch irgendwann ist es dann auch genug mit Trubel und ich treffe mich wie vereinbart mit dem Fahrer an einen der großen internationalen Hotels. Hier ist geschäftiger Betrieb, zahlreiche Fahrzeuge der EU-Mission parken davor. Wenig später geht es wieder aufs Land.

Abends sitze ich im Campingstuhl und lasse den Tag Revue passieren. Auf dem Berg gegenüber schaue ich auf das hell erleuchtete Kreuz. Dies erinnert daran, dass Armenien das älteste Land mit christlicher Staatsreligion ist, welche schon im Jahr 301 eingeführt wurde. So viel Geschichte und Bewegung in so einem kleinen Land. Wirklich faszinierend.

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Das nachts hell erleuchtete Kreuz erinnert an die tief im Land verwurzelte Religion.

Nach einigen entspannten Tagen schlägt die Neugierde wieder zu

Bevor ich Armenien verlasse schaue ich mir noch ein weiteres Kloster an, doch das Thema ist irgendwann ehrlicherweise auch mal erschöpft. Viel interessanter erscheinen mir an diesem Tag die Basaltformationen im Azat Tal in der Nähe des Ortes Garni.

Die bis zu 300 Meter hoch aufragenden, einzigartigen Basaltsäulen bei Garni.

Es ist noch früh am Morgen, kaum Bewegung auf der Straße. Ich parke einfach entlang eines kleinen Weges und laufe nach Entrichtung eines kleinen Eintrittsgeldes in die enge Schlucht. Basaltsäulen fand ich auf Island und in Irland schon faszinierend. Doch hier ragen sie auf über 300 Meter hinauf. Wow, das ist wirklich beeindruckend. Basaltsäulen entstehen bei der Abkühlung von heißer Lava. Häufig sind die Säulen sechseckig und mehr oder minder geradlinig angeordnet. Die Säulen hier werden auch die Symphony of Stones genannt. Das trifft es wirklich gut, so gleichmäßig wie sie angeordnet sind erscheinen sie doch nahezu bewusst orchestriert. Es ist faszinierend was die Natur hervorbringt.

Entlang einer der vielen Canyons mache ich mich auf zur Grenze nach Georgien

Auch auf der Rückreise muss ich wieder durch Georgien reisen, gibt es doch keinen offenen Grenzübergang zwischen Armenien und der Türkei. Georgien fungiert in dieser Region im Prinzip als Bindeglied was die Grenzübertritte angeht. Das ist für mich als Reisenden auch nicht weiter schlimm, da ich noch ein paar Orte in Georgien sehen möchte an denen ich 2018 schon einmal war.

Durch den Großen Kaukasus nach Norden.

Zunächst verbringe ich noch einen Tag in Tiflis und möchte dann weiter ins schöne Svanetien. Svanetien ist eine Region im Norden Georgiens. Schon auf der Reise vor ein paar Jahren hat es uns hier sehr gut gefallen. Ich wähle eine ähnliche Route wie damals um in die Dorfgemeinschaft Ushguli zu gelangen. Die hier liegenden Dörfer sind bekannt für die typischen svanetischen Wehrtürme, welche aus dem Mittelalter stammen und heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind. Eine fast mystische Gegend aus längst vergangenen Zeiten. Doch dieses Mal geht die Fahrt dorthin deutlich schneller, ist die Straße doch heute nahezu vollständig asphaltiert.

Die svanetischen Wehrtürme erinnern an eine bewegte Geschichte.

Mestia ist eine Kleinstadt in der Region, welche ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und heute stark touristisch erschlossen ist. Und doch ist der Ort immer noch malerisch eingebettet in ein Tal des Großen Kaukasus und es gibt einiges zu entdecken.  Dabei darf natürlich auch der Besuch eines Restaurants mit den landestypischen Kubdari nicht fehlen. Kubdari sind ein georgisches gefülltes Brotgericht, dass ursprünglich aus dieser Region stammt. Die Füllung enthält verschiedene Fleischstücke, Gewürze und Zwiebel. Sehr schmackhaft.

In der Nacht hat es heftige Regenfälle gegeben

Trotzdem wähle ich eine Nebenstrecke, die ich schon tags zuvor auf der Landkarte entdeckt habe und die vielversprechend aussieht. Die Strecke ist landschaftlich wunderschön und doch stark verschlammt. Hinzu kommen Bauarbeiten. An diesem Vormittag regnet es immer noch reichlich und so verwandelt sich die Strecke in eine kleine Herausforderung. Der Landy schlägt sich wacker, mir macht es regelrecht Spaß und mittlerweile habe ich zu einem Kleinwagen aufgeschlossen, dessen Heck ab und an mal ausbricht, doch der Fahrer sich offenbar nicht davon beirren lässt. Ich hoffe nur das er nicht stehen bleiben muss, dass würde vermutlich Arbeit bedeuten. Doch es kommt genau so. Ein Bagger versperrt die Weiterfahrt und wir kommen zum Stehen. Nachdem die Baumaschine ihre Arbeit verrichtet und den Weg freigegeben hat, gibt der Fahrer des Kleinwagens Gas, der Motor heult auf. Mal sehen was das gibt. Das Fahrzeug begibt sich in die nächsten Schlammfluten. Unbeirrt schiebt sich das Vehikel vorwärts, spitze. Es muss nicht immer Allrad sein!

Die letzte Nacht in Georgien verbringe ich in Grenznähe, denn am nächsten Tag möchte ich in die Türkei einreisen. Der Ararat ruft. Diesen Berg von Nahem zu sehen, in die sagenumwobene Geschichte einzutauchen und die Regionen Ost- sowie Südostanatoliens zu bereisen sind seit Jahren ein Traum von mir, der jetzt zum Greifen nah ist.

Und was ich auf der Reise von Ost nach West durch die Türkei erlebt habe, das erfahrt ihr im nächsten und letzten Teil dieses Reiseberichtes.

Hier geht es zu Teil 1 des Reiseberichtes und hier zum Teil 3. Und noch mehr Fotos dieser und weiterer Reisen findet ihr übrigens auf meinem Instagram Profil El-Dracho On Tour.

 

© Fotos: Björn Eldracher